2016: Das Jahr für Podcasts und Print

In den USA wurden Experten von NiemanLab befragt, was sie für nächstes Jahr im Journalismus erwarten. Das Revival überraschend vieler alter Tugenden wurde genannt. Eine interessante Prognose: Es darf wieder ausführlich erzählt werden.

Was wird das kommende Jahr bringen? Im Journalismus. NiemanLab, eine Institution der amerikanischen Eliteuniversität Harvard, hat diese Frage jenen Experten gestellt, die sie für die besten hält. Vom Erstarken der Reportage schwärmt die Verlagsdirektorin S. Mitra Kalita von der „Los Angeles Times“. Mehr Zuwendung der Verlage zu loyalen Lesern erwartet Dan Check, ein Vizevorsitzender der Slate Group. Diesen müsse wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, um sie zu halten, als jenen, die nur gustieren und, wenn überhaupt, Minimalbeträge für einzelne Artikel entrichten. „Print is dead. Long live Print“, behauptet Carla Zanoni, Leitende Redakteurin für junge Medien beim „Wall Street Journal“.

Das Gedruckte möge zwar tot sein, aber die Fertigkeiten seiner Macher sind es lange nicht. In der Beschränkung, der Optimierung, der Konzentration auf das Wesentliche liegen die Stärken von Zeitungen. Digitale Gurus in den unendlichen Weiten des Netzes können mit diesem Handwerk offenbar noch nicht mithalten.

Beinahe nostalgisch klingt auch die Analyse des Strategen Rex Sorgatz, dessen Prognose wie eine Rückkehr der guten alten „Radio Times“ klingt. „The Podcasting Scene Will Explode“, meint der Chef der Beratungsagentur Kinda Sorta Media. Viele Konzerne werden ihre Angebote für Podcast adaptieren, also für Medien-Dateien in Audio oder Video fit machen, die vom Kunden über Handy, Tablet oder PC stets abrufbar sind, oft per Abonnement. Große Netzwerke würden so ganze Shows produzieren, kreative Upstarts den Trend verstärken und neue Hörexperimente schaffen, erwartet Sorgatz. Es werde bessere Inhalte, bessere Qualität und mehr Profite geben. Podcasting werde eine Evolution durchlaufen.

Als erfolgreiches Beispiel nennt der Digital-Stratege den Podcast „Serial“, der im Vorjahr Rekorde brach. Mit 3,5 Millionen Downloads pro Episode war diese zwölfteilige Serie 2014 in ihrer Sparte das erfolgreichste Produkt, vom Start weg die Nummer eins auf iTunes . Die zweite Staffel, die eben am 10. Dezember gestartet ist, könnte diesen Erfolg wohl übertreffen, schreibt Sorgatz.

Was ist das Geheimnis von „Serial“, das von der Journalistin Sarah Koenig als Podcast für das in diversen Radio-Formaten agierende Programm This American Life erfunden und produziert wurde? Koenig setzt auf den langen Atem. In zwölf Folgen erzählte sie eine nicht-fiktionale Geschichte, sie ließ die Hörer sozusagen einem Reporter bei der Recherche zu einem mysteriösen Kriminalfall über die Schulter schauen, dem mutmaßlichen Mord an einem 18-jährigen Mädchen in Baltimore, das 1999 verschwunden war. Wurde ihr Ex-Freund zu Unrecht verurteilt? Wollen nicht spoilern. Aber zwischen Oktober und Dezember 2014 gab es immer wieder überraschende Wendungen, wenn „Serial“ den Fall umkreiste. Inzwischen gibt es im Netz sogar schon Parodien auf diesen über einen Stream von Pandora wieder verfügbaren Podcast mit all seinem Eifer der Investigation.

Breaking News. Die zweite Saison von „Serial“ widmet sich derzeit dem US-Soldaten R. B. Bergdahl, der in Afghanistan 2009 von Taliban-Verbündeten gefangen genommen, 2014 freigelassen wurde. Diesmal soll es in der Sendung sogar „real-time breaking news“ geben. Auch solche Sensationen könnten zu größerem Erfolg beitragen.

Die Chancen auf Wachstum sind noch groß. Bisher machen Podcasts in den USA nur zwei Prozent des Audio-Konsums aus. Terrestrischer Empfang hat noch immer einen Anteil von mehr als 50 Prozent. Das beruhigt Traditionalisten. Weder Print noch Radio sind tot, sie bleiben Medien mit Überraschungsmoment. Ihr größter Trumpf: seriöse Autorität. Wer möchte sich nicht von Ö1, BBC oder „Presse“ sagen lassen, was gerade wichtig ist?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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