Exodus beim Insiderblatt »The Politico«

Interessante Medienzeiten in Washington: Chefredakteur Jim VandeHei wird samt Getreuen die 2007 von ihm mitbegründete Onlinezeitung verlassen, die Amerikas politische Szene aufmischen wollte. Eine Katastrophe, so die Konkurrenz.

Wenn ein Spitzenmanager die Firma wechselt, gehört das zur Normalität. Wenn aber der Mitbegründer eines seit Jahren erfolgreich gehypten Medienunternehmens im Zentrum der westlichen Hegemonialmacht ankündigt, dass er seinen Arbeitsplatz aufgebe und mindestens vier Spitzenkräfte mit ihm gingen, ist das fast eine Revolution jenseits des Atlantiks.

Bei The Politico, das 2007 als Onlinezeitung in Washington begann, die auch (meist einmal pro Woche) in gedruckter Form erscheint, ist das soeben geschehen. Einer der beiden Chefredakteure, der von Anfang an dabei war, Jim VandeHei, trennt sich von seinem Blatt, das ganz nah dran sein wollte am politischen Geschehen, als Hotspot im Machtzentrum der USA. Er hatte in Interviews betont, dass sein Team The New York Times und The Washington Post in der Qualität schlagen wolle. Der scheidende Chef nimmt auch den Star-Journalisten Mike Allen mit. Das „Playbook“ dieses Chefreporters ist Pflichtlektüre für jeden, der über Washingtons Innenleben informiert sein will. Er bringt regelmäßig Exklusives.

Drei weitere führende Manager beteiligen sich am Exodus, der laut einem Memo von VandeHei nach der US-Präsidentenwahl am 8. November erfolgt. Als Grund wird ein Zerwürfnis mit Eigentümer Robert Allbritton und Co-Chefredakteur John F. Harris über den weiteren Expansionskurs der Zeitung vermutet. VandeHeis Pläne waren stets extrem ehrgeizig, er träumte davon, dass ThePolitico bis 2020 in jeder Metropole jedes bedeutenden Landes vertreten sein solle. Im Großraum New York und in Brüssel war das bereits der Fall, mit bisher mäßigem Erfolg. Erst vergangenes Frühjahr war in Kooperation mit dem Axel-Springer-Verlag eine Europa-Ausgabe geschaffen worden.

Die verkaufte Druckauflage der Zeitung in den USA beträgt nur 40.000 (online gibt es 8,5 unique readers pro Monat), sie galt inzwischen jedoch als einflussreich bei Entscheidungsträgern – eine Art Bezirksblatt für Washingtons Politiker, Lobbyisten und Beamte. Kann man dieses Konzept tatsächlich weltweit umsetzen? Darüber hat man sich offensichtlich zerstritten. Wie werden sich also die substanziellen Abgänge auswirken? The Washington Post (online 76 Millionen unique readers pro Monat) schreibt von einer Megakatastrophe fürs Konkurrenzunternehmen: „Politico implodiert“.

Den Massenauszug aus Redaktionen hat es immer wieder gegeben. In Großbritannien etwa wurde 1986 The Independent von prominenten Redakteuren gegründet, die sich mit ihrem konservativen Arbeitgeber, The Daily Telegraph, zerstritten hatten. Damals befand sich die britische Medienlandschaft im radikalen Umbruch. Es gelang den Gründern der neuen Zeitung, exzellente Mitarbeiter von The Timesabzuwerben, die sich bereits im Besitz des Magnaten Rupert Murdoch befand. Die Gründung von The Independent war damals ein gewagter Schritt. In digitalen Zeiten aber fällt solches Risiko offensichtlich leichter.

Auch The Politico war ursprünglich das Ergebnis von Unzufriedenheit. Sowohl seine Chefredakteure als auch der Chefreporter waren zuvor bei The Washington Post beschäftigt gewesen – im Onlinebereich, bei dessen Umstrukturierung sie auf Widerstand stießen. Man kann gespannt darauf sein, wie sich der radikale Wille zur Veränderung, der online offenbar noch stärker ausgeprägt ist und eine niedrigere Schwelle hat als bei Print, nach dem Exodus von The Politico äußern wird. In seinem Memo schrieb VandeHei diese Woche, dass er von einem „unternehmerischen Bazillus“ befallen sei: „Ich plane ein neues Projekt, wenn ich von hier abgehe.“ Fortgesetzte Gründerzeit also – oder bloß ein Abgesang darauf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2016)

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