Der Mediator

Richtungswahl oder doch Mut zur Mitte?

Wer schafft es in die Stichwahl? Elf Kandidaten treten an, vier haben ernste Chancen.
Wer schafft es in die Stichwahl? Elf Kandidaten treten an, vier haben ernste Chancen.(c) APA/AFP/MARTIN BUREAU
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Zum Urnengang in Frankreich kann man kaum sinnvolle Prognosen abgeben - zu eng liegt ein Quartett zusammen, das von ganz links bis extrem nach rechts reicht. Die US-Website FiveThirtyEight bietet dazu eine aufschlussreiche Analyse.

Wer wird es an diesem Sonntag beim Qualifikationsrennen um die französische Präsidentschaft in die Stichwahl schaffen? Ein Kandidaten-Quartett liegt seit Wochen so knapp zusammen, dass sich nicht einmal die Wagemutigsten festlegen wollen. Kein Bewerber hat es seit Jahresbeginn geschafft, auch nur an 30 Prozentpunkte heranzukommen. Die Marke scheint derzeit in vielen Demokratien statt der unerreichbaren 50 Prozentpunkte ein Traumziel der Sieger zu sein. Fragen wir also pragmatische Angelsachsen. Eine interessante Analyse hat der journalistische Senkrechtstarter Harry Enten von FiveThirtyEight erstellt. Diese Website aus den USA ist auf statistische Analysen, auf Datenjournalismus spezialisiert, sie wertet Umfragen aller Art aus – von Autorennen bis zu Wahlen. „538“ (das ist die Zahl der Wahlleute im Electoral College der USA) gehört dem US-Fernsehsender ESPN, der rund um die Uhr Sportprogramme ausstrahlt. Mit Zahlen kennen die sich aus.


Drei Männer hinter einer Frau

Was also sagt Enten unmittelbar vor dem ersten Urnengang in Frankreich? „Way Too Close To Call“ – viel zu knapp, um etwas auszusagen. Aus dem Durchschnitt vieler Statistiken sei nicht herauszulesen, welche zwei von den vier Favoriten in die Stichwahl gelangen werden. Interessant ist für ihn eine Grafik von „HuffPost Pollster“. Sie zeigt, dass die Kandidatin des rechtsradikalen Front National, Marine Le Pen, in Prognosen seit vier Monaten praktisch durchgehend in Führung liegt und sich drei ihrer Konkurrenten als aussichtsreichste Herausforderer ablösen.

Im Jänner war François Fillon mit Le Pen praktisch gleichauf, bei rund 25 Prozent, ehe er nach der Affäre um die Anstellung seiner Frau absackte. Der Konservative liegt nun zwischen 17 und 20 Prozent, aber paradoxerweise hat man selbst damit Chancen, weiterzukommen. Denn auch Le Pens Werte sind inzwischen (vor dem Terror in Paris am Donnerstag) leicht gesunken, auf 22 Prozent, sodass sie von Emmanuel Macron zuletzt sogar knapp überholt wurde. Der Zentrist, der unter Staatspräsident Hollande Wirtschaftsminister war, lag da bei zirka 24 Prozent.

Die rasanteste Aufwärtsbewegung hat im Finale allerdings Jean-Luc Mélenchon gemacht. Seit einem Monat holt der linksradikale Kandidat rasant auf, seine Werte wurden fast verdoppelt. Er liegt diese Woche bei 19 Prozent. Das ist bei einem Vierer-Rennen auf jeden Fall in der Spannungsbreite, um vorn dabei zu sein. Für Enten beträgt sie derzeit nicht die üblichen drei, sondern sieben bis neun Prozent. Es könnte also durchaus sein, und der jüngste Trend legt es nahe, dass es der linksradikale Kandidat und die rechtsradikale Kandidatin in die Stichwahl schaffen. Tendenziell geben die Wähler nicht zu, dass sie etwas Randständiges wählen. (Enten bezweifelt aber, ob das für Le Pen diesmal gilt.) In der Stichwahl sind die Prognosen klarer: Dann hätte Macron 15 Prozentpunkte Vorsprung, während Le Pen bisher weit abgeschlagen ist – mindestens 15 Prozentpunkte hinter jedem anderen im Quartett. Aber wer weiß, ob sich zuvor die Mitte nicht gegenseitig blockiert?


Das Extrem-Szenario, bei dem die Moderaten auf der Strecke bleiben, wäre für „The Economist“ ein Desaster. Das Cover des britischen Wochenblattes zu dieser „höchst unsicheren Wahl“, bei der die Franzosen eine Entscheidung „mit den größten Konsequenzen seit Jahrzehnten“ treffen müssen, ziert ein gallischer Hahn, der sich vor Schreck den linken Flügel vors Auge hält: „Zut alors!“ wird getitelt – „Mist!“.

Der Leitartikler empfiehlt Macron, obwohl keine etablierte Partei hinter ihm stehe und er noch unerprobt sei. Denn die Alternative, ein Sieg der „abscheulichen Rechten“ oder der „bösartigen Linken“ am 7. Mai, wäre für ganz Europa eine Katastrophe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2017)

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