Der Studioprediger: Also sprach der Anchorman

Studioprediger Also sprach Anchorman
Studioprediger Also sprach Anchorman(c) AP (Melissa Moseley)
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Der hochgepriesene Drehbuchautor Aaron Sorkin schuf mit "Newsroom" eine neue Serie im US-Fernsehen. Nach "West Wing" kommentiert und konterkariert er in der TV-Saga erneut die Tagespolitik.

Elliptisch umkreist die Kamera Will McAvoy auf dem Podium eines Universitätsforums über den Stand der Dinge in Politik und Journalismus, und der Moderator der Polit-Show „News Night“ kann seinen Ennui und seinen Sarkasmus nicht verhehlen. „Was macht Amerika zur großartigsten Nation?“, fragt eine Studentin blauäugig. Auf Nachfrage setzt McAvoy (Jeff Daniels) zu einer Suada an, warum die USA längst nicht mehr das gelobte Land seien. „Wir liegen nur noch bei den Verteidigungsausgaben, bei Autozulassungen pro Kopf und bei Menschen, die an Engel glauben, an der Spitze.“

Die virtuose Eröffnungssequenz zu Aaron Sorkins TV-Serie „Newsroom“, die dieser Tage auf dem preisgekrönten Bezahlsender HBO in den USA startete, nimmt Anleihe bei „Network“, dem Hollywood-Klassiker der 1970er-Jahre über Einschaltquoten und Zynismus im Nachrichtenbusiness. Wie um den Ist-Zustand zu konterkarieren flimmern im Vorspann die TV-Legenden Ed Murrow und Walter Cronkite über den Schirm, die Säulenheiligen der Schwarz-Weiß-Ära.
Nach seinem Geniestreich „West Wing“ über die inneren Abläufe im Weißen Haus rückt Hollywoods „Wunderwuzzi“ – er verfasste die Vorlagen für „Social Network“ und den Baseball-Film „Moneyball“ – nun die kleinen Dramen und großen Gesten einer News-Show ins Licht. Die Serie spielt in der jüngsten Vergangenheit. Ein Souvenirfoto mit Präsident Obama ziert den Glaskubus des Moderators, die Handlung setzt mit der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko ein.

Für die erste Folge hagelte es Verrisse. Die Kritiken im „New Yorker“ oder der „Washington Post“ mäkelten am hehren Pathos, der aus den geschliffenen, smarten, zuweilen jedoch gar lehrbuchhaften Dialogen trieft. Der Plot ist auch nicht frei von Klischees: Unter der Führung der mit zwei Louis-Vuitton-Taschen in die Redaktion zurückgekehrten Kriegsreporterin MacKenzie McHale als ausführender Produzentin soll die Crew die Polit-Show des glatten Moderators, vielfach als Jay Leno des Nachrichtengewerbes verhöhnt, aufpolieren. Dass McHale einst die Geliebte des Anchorman war, kompliziert zwar das Arbeitsklima, erhöht aber die Pikanterie und den Screwball-Comedy-Faktor.
„Ich erscheine nur deshalb als liberal, weil ich glaube, dass Hurrikans von Lufthochdruck ausgelöst werden und nicht von der Schwulenehe“, lässt Sorkin die Hauptfigur Will McAvoy sagen, einen registrierten Republikaner und Wechselwähler. In „Newsroom“ bündelt der eingefleischte Demokrat Sorkin seinen Kommentar zur Tagespolitik. Inspirieren ließ er sich von Keith Olbermann, einen explizit linksliberalen, inzwischen gefeuerten Moderator auf dem Kabelsender MSNBC. Gemäß dem Credo der Produzentin – „We can do better“ – stilisiert Sorkin in idealistisch-romantischer Weltsicht das „Newsroom“-Team zum Sinnbild eines besseren Amerika und McAvoy zum geistigen Bruder des Präsidenten Josiah Bartlet aus „West Wing“. Verkörpert von Martin Sheen avancierte der fiktive Präsident zum Antagonisten George W. Bushs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2012)

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