Der „Tatort" im „Presse"-Check: In „Abgründe" geht dem Wiener Ermittler-Duo, das mehr Witz hat als die meisten Kollegen, der Schmäh aus.
Wer hier wem das Handwerk legt
Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) geraten diesmal in die Bredouille. Sie ermitteln im Mordfall an einer ehemaligen Kollegin, mit der Moritz einst sogar ein Verhältnis hatte. Er gerät ins Fadenkreuz der Täter, weil er nicht glauben will, dass es sich hier um einen Unfall gehandelt haben soll. Pikant ist die Sache deshalb, weil offenbar höchste Stellen Interesse daran haben, dass der Fall nicht aufgeklärt wird. Es geht einmal mehr um einen Pädophilen-Ring - die Story erinnert ein wenig an den Fall Kampusch.
Was das Besondere an diesem „Tatort" ist
Die Stimmung wandelt sich mit der Dramatisierung der Ereignisse: Erst gibt es das übliche Geplänkel und den typischen Wiener Schmäh. Bibis geborgtes Auto ist für Moritz eine „Schlampenschleuder", die Pathologin vergleicht den Leberkäse mit ihrer Arbeit („Da sind auch viele Tote drin") und Bibi verordnet Moritz eine Rindssuppe, weil „die mache ich mir auch immer, wenn ich Scheiße gebaut hab". Je weiter sich Bibi und Moritz an die "Abgründe" einer vermeintlich feinen Gesellschaft herantasten (auch ein Polizist ist verstrickt), desto kühler wird die Atmosphäre (nicht nur, weil es schneit). Manchmal fragt man sich, ob man die Dialoge für das deutsche Publikum nicht untertiteln sollte: das „G'spusi", das „schleich di" oder „fladern" zum Beispiel.
Wie brutal es diesmal zugeht
Es gibt keine Schocksekunden, keine wilden Schießereien (wenn man von gezielten Fehlschüssen aus Bibis Gewehr „zum Taubenschießen" absieht). Hier wird die Brutalität subkutan wirksam - vor allem durch die Machenschaften einer lange unsichtbaren Seilschaft, die auch nicht vor einem Mordanschlag gegen Moritz Eisner zurückschreckt. Kindesentführung und -missbrauch sind zwar Thema, werden aber von Autor Uli Brée und Regisseur Harald Sicheritz bewusst reduziert in Szene gesetzt.
Was die Lichtblicke sind
Moritz Eisner und Bibi Fellner haben etwas Heimeliges: Sie sind nicht geschniegelt, fahren in einem Zuhälterauto, das ständig kaputt ist, und verbreiten auch mit ihren flockigen Dialogen Wiener Lokalkolorit. Gleichzeitig sind sie so hartnäckig (und leichtsinnig), den Fall fertig zu ermitteln, obwohl sie vom Dienst suspendiert sind. Weshalb sie es dann auch mit den Gesetzen nicht so ganz ernst nehmen - was den Boden für ein packendes Finale bereitet.
Warum dieser „Tatort" sehenswert ist
Harald Krassnitzer wechselt als Moritz Eisner überzeugend die Gesicher: erst dominiert die Wiener Gemütlichkeit, dann der Killerinstinkt. Die Story steigert sich bis zum Ende vom Unfallszenario zum eiskalten Verschwörungsthriller. Als alles schon verloren scheint, greift der Kommissar auf den Trick der Täuschung zurück und schlägt den Hauptschuldigen mit dessen eigenen Waffen. Nicht legal, aber für ihn sichtlich emotional befriedigend.