"Die Spiegel-Affäre": Kippen, Klapse, Kalter Krieg

Die Spiegel-Affäre
Die Spiegel-Affäre(c) BR/Wiedemann & Berg Film
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1962 stand die Welt am Rand des Atomkriegs, die Pressefreiheit wankte: "Die Spiegel-Affäre" ist auch heute sehr aktuell – und ein cooler Politthriller. Am Freitag auf Arte.

Wir schreiben das Jahr 1962. Es sind andere Zeiten. Überall darf geraucht werden, ein Klaps auf den Po der Sekretärin – die als „Fräulein“ anzusprechen ist – wird von den Umstehenden mit einem Zwinkern quittiert, und wenn ein deutscher Politiker Albträume hat, dann sieht er einen tödlichen Atompilz über seiner Heimat aufsteigen. Roland Suso Richter inszeniert seinen Zeitgeschichte-Politthriller wie eine Mischung aus „Mad Men“ und Humphrey-Bogart-Schinken, er dreht den Frauen Locken und schnürt ihnen die Taillen eng, während die Herren in Hut und Anzug formschöne Automobile lenken. Doch das ist alles nur das detailverliebte Umfeld, in das er eines der spannendsten Ereignisse in der Pressegeschichte bettet: die „Spiegel-Affäre“.

„Lieber tot als rot.“

Vor dem Hintergrund des Wettrüstens zwischen Ost und West und der Kubakrise sagen einander im muffigen Nachkriegsdeutschland zwei mächtige Männer den Kampf an: Rudolf Augstein, Herausgeber und Chefredakteur des „Spiegel“, der sein Credo „weg vom Obrigkeitsstaat“ verbissen verfolgt – und der einflussreiche Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, der nach dem Motto „Lieber tot als rot“ ein „Gleichgewicht des Schreckens“ fordert. Strauß wird zur Zielscheibe der Recherchen des „Spiegel“ – und immer wieder mit spitzer Feder attackiert.

Als der „Spiegel“ nach jahrelangen Recherchen und auf Basis vertraulicher Informationen das Verteidigungskonzept der deutschen Bundeswehr – und damit Verteidigungsminister Strauß – infrage stellt, schlägt die von Augstein verabscheute „Obrigkeit“ zu: Es kommt zu einer Durchsuchung und Besetzung der Redaktion, Augstein und mehrere seiner Mitarbeiter werden verhaftet. Der Vorwurf: Landesverrat. Empörte Reaktionen und ein Schulterschluss der Medien zur Verteidigung der Pressefreiheit sind die Folge, eine Regierungskrise – und der Rücktritt von Strauß, der die Aktion vorangetrieben haben soll, als Verteidigungsminister. Augstein ging nach 103 Tagen frei, das Verfahren wurde eingestellt.

Sebastian Rudolph legt seine Rolle als Augstein nuanciert an: Er wirkt verletzlich und arrogant, jungenhaft und verbissen, erobert mit Intelligenz und Charme seine dritte Frau Maria Carlsson (Nora von Waldstätten), um im Tatendrang der Arbeit gleich wieder auf sie zu vergessen. Francis Fulton-Smith (es musste ein Bayer sein!) ist als selbstbewusst-charismatischer Politiker Strauß ein polternder und gerissener Gegenspieler. Alexander Held sieht dem Chefermittler in der „Spiegel-Affäre“ und späteren Generalbundesanwalt Siegfried Buback frappierend ähnlich, Henning Baum gibt einen pflichtbewussten Oberst Martin ab.

Aktuell wie NSA, Snowden, WikiLeaks.Die Geschehnisse von 1962 lesen sich wie ein spannendes Drehbuch (Johannes Betz hat es realisiert) – die Umsetzung im Film ist gelungen: kurzweilig und authentisch. Und aktuell: Vor dem Hintergrund von NSA, Snowden und WikiLeaks wird klar, dass sich am Spannungsverhältnis zwischen Aufdeckermedien als vierte Macht im Staat und Politik/Obrigkeit wenig geändert hat. Geschichte ganz ohne Staub also.

„Die Spiegel-Affäre“ läuft am 2.5. um 20.15 Uhr auf Arte, am 7. Mai um 20.15 Uhr, in der ARD.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2014)

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