»Weniger ist mehr«: Hängematte des Nichts

(c) ORF/Bernhard Höfer
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In der Minimalismus-Doku »Weniger ist mehr« schmust Roland Düringer mit seinen Schweinen und fährt Philosoph Robert Pfaller im Alfa Romeo.

Wenn Roland Düringer in der Hängematte liegt, die Augen geschlossen, oder unter einem großen Baum Gitarre spielt, oder später seine „Schweindln“ schmust, dann denkt man: Schön, so ein einfaches Leben! Dem einst so erfolgreichen Kabarettisten nimmt man seinen Lebenswandel sogar durchaus ab. Früher gehörten ihm ein megagroßes Haus mit Pool und ein Fuhrpark mit mehr als 30 Autos und Motorrädern. Mittlerweile lebt er bescheidener im Grünen, baut Gemüse an und hält sich mit seinem Nachbarn ein paar Schweine, von denen jedes Jahr zwei geschlachtet werden. Doch dann sagt er etwas leicht Verstörendes: „Das Schönste für mich wäre, ich hätte einen Wohnwagen im Garten stehen und würde von dem aus dabei zu sehen, wie mein Haus verfällt. Weil: Ich kann's mir leisten – und wenn's abbrennt, lach ich.“

Wahlfreiheit.
Klar, Roland Düringer ist ein Ausnahmefall. Er hat einen Wohlstand erreicht, der ihm die Freiheit lässt, entweder im Überfluss zu leben oder in der selbstversorgenden Halb-Einsiedelei. Das ist auch die rasche Kern-Erkenntnis der ORF-Doku „Weniger ist mehr. Vom Trend, mit Nichts glücklich zu sein“: Auch der Verzicht ist ein Luxus. Der Wiener Philosoph Robert Pfaller betont: „Es gibt Leute, die sich bestimmten Verzicht nicht leisten können, weil sie nicht die Informationen darüber haben, etwa wo man gesündere Lebensmittel herbekommt.“

Pfaller mimt in der Doku den Minimalismuskritiker, schließlich ist er ein Verfechter der Kunst des Genießens. Gerade erst hat er einen offenen Brief an die neue Gesundheitsministerin geschrieben und sie aufgefordert, von ihrem Langzeitziel „Total-Rauchverbot in der Öffentlichkeit“ abzulassen. An der Seite des deutschen Soziologen Harald Welzer („Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand“) fährt er im offenen Auto durch die Doku. Welzer ist der Überflusskritiker, Pfaller der Verfechter des angenehmen Lebens, der an ein Prinzip von Bertolt Brecht erinnert: „Man muss aufpassen, dass man nicht zu anspruchslos ist.“ Der Mensch sei, so Pfaller, ohnehin nicht so beschaffen, dass er Genüsse schnell und hastig an sich ziehe.

Zwischen all dem Reden über Verzicht und Genuss tut sich eine überraschend amüsante Szene auf: Zuerst erklärt Düringer, warum er heute nur mehr Autos besitze, die er selbst reparieren kann (eine 2CV Ente) und sagt: „Aber es gibt Leute, die geben sich mit einer Ente nicht zufrieden. Sie wollen zwar reduzieren, aber es muss dann schon ein Mercedes sein – oder ein Alfa Romeo. Da spielt dann das Ego mit.“ – Und in der nächsten Szene sehen wir Pfaller und Welzer ausgerechnet in einem Alfa Romeo sitzen und über die „sexy“ Silhouette des Wagens schwadronieren. Ein gelungener Schnitt.

Jeder Mensch besitzt durchschnittlich 10.000 Dinge, Minimalismus-Coach Joachim Klöckner kommt mit 50 Sachen aus, die Hängematte als Schlafplatz inklusive. „Minimalismus bedeutet für mich Klarheit und Wesentliches“, sagt er und betont, dass er nicht viel brauche, aber sein iPad liebe, „das ist ja nun nicht gerade das preisgünstigste Gerät, aber es ist etwas Wesentliches, qualitativ Wertvolles“. Durch die Gespräche mit so vielen unterschiedlichen Menschen – vom Carsharer über den Blogger bis zur Familienmutter – entsteht ein breites Bild von Minimalisierern, Tauschbörsen und Aussteigern. Ein bisschen kritisches Nachfragen oder Zurechtrücken hätte an manchen Stellen nicht geschadet. Der junge Deutsche, der bereitwillig sein Auto teilt, macht im Grunde auch nichts anderes, als Geld damit zu verdienen. Nicht jede Form des modernen Teilens – von Carsharing bis Airbnb – hat etwas mit Reduzierung zu tun.

Mitnehmen kann aber jeder eine nützliche Regel von Minimalisten: Wenn sie etwas sehr gern haben wollen, dann schreiben sie das zuerst auf eine Liste und überprüfen nach 30 Tagen, ob sie es noch immer so dringend haben wollen. Wenn nicht, wird der Gegenstand von der Liste gelöscht. Wenn schon, dann wird auch einmal zugeschlagen.


„Weniger ist mehr“. 8. 9., 3sat, 22.25 h

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2014)

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