"Tatort" Kärnten: Nicht nur der Kommissar leidet an Amnesie

Tatort
Tatort(c) ORF (Toni Muhr)
  • Drucken

Als erster „Tatort“-Kommissar überhaupt ermittelt Harald Krassnitzer in Kärnten. Für „Unvergessen“ packt Regisseur Bigler ein NS-Massaker und dessen Verdrängung in einen spannenden Fall.

Unsere Wertung für diesen "Tatort":

5 von 5 Punkten

Worum geht’s in „Unvergessen“?

Regisseur Sascha Bigler hat sich für sein Austrokrimi-Debüt ein heikles Thema ausgesucht: In seinem „Tatort – Unvergessen“ geht es um „de gonz oidn Sochn, die eh kan mehr interessieren“, wie der Kärntner Dorfpolizist genervt anmerkt. Er ist das Auge des Gesetzes, das lieber wegschaut, als den Mord an einer Journalistin aufzuklären, deren Recherche dem letzten Verbrechen an Zivilisten im Zweiten Weltkrieg galt. Verübt wurde es auf dem Peršmanhof in Bad Eisenkappel: Eine NS-Einheit stürmte am 25.April 1945 das Gebäude, das als Partisanenstützpunkt galt, und massakrierte elf Zivilisten – darunter sieben Kinder (die Partisanen waren geflohen). Das Verbrechen wurde nie aufgeklärt, die Ermittlungen 1949 eingestellt. Das ist der reale Hintergrund des ersten Kärntner „Tatorts“, der nun wiederholt wird.

Wer ermittelt?

In seinem 30. Fall, erstmals ausgestrahlt im April 2013, wird Kommissar Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) selbst zum Opfer und leidet nach einem Kopfschuss just an jener Amnesie, die auch andere befallen hat – wenn auch aus anderen Gründen, nämlich um nicht mehr über das Vergangene nachdenken zu müssen, das doch noch so präsent ist. Adele Neuhauser, die als Bibi Fellner das Ermittlerteam im Austro-„Tatort“ komplettiert, sieht Parallelen zur Geschichte ihrer eigenen Großmutter: „Sie ging freiwillig mit ihrem jüdischen Mann ins KZ, weil sie sich nicht von ihm lossagen wollte.“ Der Großvater starb, die Großmutter überlebte. Neuhauser trägt ihren Namen: Adele.

Was gefällt?

Bigler, der auch das Buch geschrieben hat, und sein Kameramann Gero Lasnig schicken das Publikum auf einer inhaltlich wie optisch rasanten Jagd hinter dem Täter her, bei der auch Platz für Humor ist: In der Polizeistation Eisenkappel spielt man Darts mit Stermann und Grissemann auf der Zielscheibe. Und Eisner, der von einem in seinem Kopf festsitzenden Kugelfragment beeinträchtigt ist, kotzt dem Vorgesetzten vor die Füße, um gleich mit treuherzigem Blick zu betonen: „Ich bin fit!“ Immer wieder blitzen seine Erinnerungen und Visionen auf, Bigler und Lasnig lassen sie manchmal in verfälschten Farben und verzerrten Bildern, dann wieder so real über den Zuschauer hereinbrechen, dass einem der Schreck in die Glieder fährt. Eine schaurige Leiche, die Analyse im Seziersaal und der Splitscreen – auch da hat man sich von jungen, dauerhaft erfolgreichen US-Serien inspirieren lassen.

Was macht diesen „Tatort“ so besonders?

Das Thema ist zutiefst österreichisch: Es geht um Vorurteile und den Versuch, den Mantel des Vergessens über das Unrecht zu breiten, das im Zweiten Weltkrieg geschehen ist. Die Gräuel vom Peršmanhof, mit denen Bigler mit viel Sinn für die Symbolik das Krimigeschehen hinterlegt, sind das beste Beispiel: Erst in den 1980er-Jahren wurde das von den Nazis niedergebrannte Haus restauriert, wieder aufgestellt und als Partisanenmuseum eingerichtet.

"Tatort: Unvergessen", am 14. Dezember um 20:15 Uhr in ORF 2

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Tatort: Kopper
TV-Kritik

"Tatort" Ludwigshafen: Abschied von Kommissar Kopper

Nach 21 Jahren und insgesamt 57 Fällen muss Kommissar Mario Kopper gehen. Wie er aber in seinen Abgang stolpert, ist enttäuschend.
Der wueste Gobi
TV-Kritik

"Tatort" Weimar: Strickhöschen und Buchstabensuppe

Wegen der kaputten Heizung gehen die Kommissare Lessing und Dorn in diesem "Tatort" auf Kuschelkurs. Wird aber nichts: "Der wüste Gobi", ein Psychopath und mutmaßlicher Frauenmörder, hält sie auf Trab.
Tatort
TV-Kritik

"Tatort" Hamburg: Falke und der "Westentaschen-Goebbels"

In diesem "Tatort" steht der Rechtspopulismus im Fadenkreuz. In "Dunkle Zeiten" gibt nicht nur Kommissar Thorsten Falke ein politisches Statement ab - kurz steht sogar Donald Trump im Fadenkreuz.
Tatort
TV-Kritik

"Tatort" Berlin: Hier stinkt's nach Tod und U-Bahn

Die Kommissare Rubin und Karow fahnden in der thematisch vollgestopften "Tatort"-Episode "Dein Name sei Harbinger" nach einem Serienmörder. Als Kulisse dient die Berliner U-Bahn. Spooky.
Tatort
TV-Kritik

"Tatort" Hamburg: „Öko-Nazis“ und Prügelkinder

In „Böser Boden“ ermitteln die „Tatort“-Kommissare Falke und Grosz im Fracking- und im Umweltschützer-Milieu. Hier weiß man nicht, wer davon furchterregender ist.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.