"Jauch": Als ein Talkshow-Gast alle zum Schweigen zwang

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„Was ist unsere Pflicht?“, fragt Günther Jauch die Gäste bei seiner ARD-Talkshow zum Flüchtlingsdrama. Alle haben viel zu sagen, bis einer dem Moderator den Mund verbietet und zu einer Schweigeminute für die Toten im Mittelmeer aufruft. Vom Unbehagen am Sonntagabend.

Politische Talkshows werden ausgewogen besetzt: ein Linker, ein Rechter, ein Sympathieträger, ein Bösewicht, ein Politiker, ein Experte. Zumindest eine dieser Personen sollte möglichst weiblich sein. Dazu braucht es noch einen Gast im Publikum. Wenn sein Stichwort kommt, darf er sich mit einer persönlichen Geschichte entblößen, damit es menschelt, bevor der Diskurs wieder den erwartbaren Verlauf nimmt. Insofern war alles perfekt angerichtet, als bei „Günther Jauch“ (ARD) am Sonntagabend über das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer diskutiert wurde.

Roger Köppel, Chefredakteur der „Weltwoche“, gab den Unerbittlichen. Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung“, der sich seit Langem für ein liberaleres Asylrecht engagiert, klagte die Tatenlosigkeit Europas an. Die Argumente folgten den bekannten Standpunkten, eloquent dargebracht von einander unversöhnlich gegenüberstehenden Ideologien. Sperren wir das Meer: Kommt kein Schiff, kommen keine Toten. Deutschland könnte viel mehr Flüchtlinge aufnehmen. Wir können sie nicht alle nehmen. Wir können sie doch nicht im Meer verrecken lassen. Garniert wurde der Schlagabtausch von Ex-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der meinte, es könne nicht so weitergehen mit dem Schlepperunwesen.

Zwischen den Streithähnen: Moderator Jauch, souverän wie immer. Die eindringlichen Schilderungen der jungen Syrerin Maya Alkhechen, die mit ihrer Familie sechs Tage und sieben Nächte zusammengepfercht in einem Boot über das Mittelmeer geflohen war, sollten der scheinbare Höhepunkt der Sendung werden: Betroffenheit nun auch in den Gesichtern der hart Argumentierenden.

Doch dann kommt der Moment, als dem Gastgeber die Sendung aus der Hand genommen wird, und alles, was er von nun an sagt, ist falsch. Harald Höppner, der Gast im Publikum, der von seinem aufgerüsteten Fischerboot berichten sollte, mit dem er Flüchtlinge im Mittelmeer retten will, will nicht einfach brav seine Geschichte erzählen. Er läuft in die Mitte des Studios, ruft alle Anwesenden zu einer Schweigeminute für die Toten auf. Einer der Ersten, der aufsteht, ist Köppel. Innerhalb weniger Sekunden stehen alle. Jauch will seine Sendung zurück: „Herr Höppner!“ Der schüttelt ihn ab: „Deutschland sollte eine Minute Zeit haben, um dieser Menschen zu gedenken. Jetzt. Bitte.“ Und es wird still.
Die Regie weiß nicht, welche Bilder sie zeigen soll. Den Aktivisten, der versteinert auf seine Uhr starrt? Jauch, der sich in der Situation sichtbar unwohl fühlt? Die Talk-Gäste, die ins Leere schauen? Der Moderator will dem Mann nicht die volle Minute geben, unterbricht die peinliche Stille: „Sie müssen nicht auf die Uhr gucken, Herr Höppner.“ Die Sympathien sind aufseiten des Störenfrieds. Wenn alles schon hundertmal gesagt wurde, wird das Schweigen zur Neuigkeit.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2015)

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