TV-Serie "Tempel": Vergiss den Krimi-Baukasten

Ken Duken spielt Mark Tempel
Ken Duken spielt Mark Tempel(c) ZDFneo
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Wieder einmal wird eine außergewöhnliche TV-Serie im Nachtprogramm versteckt. Dabei glänzt die ZDFneo-Eigenproduktion nicht nur mit der Besetzung.

Der deutsche Nischensender ZDFNeo, bisher eher bekannt die Ausstrahlung von Wiederholungen zugekaufter TV-Serien, schickt seine erste Dramaserie ins Rennen. "Tempel" ist nicht nur ambitioniert, sondern erweist sich als eine harte, aber genial erzählte Geschichte über einen boxenden Altenpfleger, der sich gegen Immobilienhaie zur Wehr setzen und seine Familie beschützen muss. So düster war wohl noch kaum eine deutsche TV-Serie - Dominik Grafs "Im Angesicht des Verbrechens" aus dem Jahr 2010 vielleicht ausgenommen. Düster bedeutet aber nicht trist, es ist auch Platz für Humor. "Liebling Kreuzberg" trifft auf "Breaking Bad", "Der König von St. Pauli" flirtet mit "Luke Cage", schreibt Christian Buß über die TV-Serie auf "Spiegel Online" und tut ihr damit ein wenig unrecht. Denn "Tempel" ist einfach nur "Tempel".

Aber worum geht es? Altenpfleger Mark Tempel und seine Familie sollen aus ihrer Wohnung vertrieben werden. Als in Tempels Abwesenheit Frau und Kind in den eigenen vier Wänden - eine Drohgebärde der Immobilienhaie - überfallen werden, gerät die Welt des Altenpflegers, der seine gewalttätige Vergangenheit hinter sich gelassen hat, aus den Fugen. Mark Tempel wird dabei fast schmerzhaft intensiv von Ken Duken verköpert. Es ist beängstigend, wenn aus diesem in sich ruhenden, rücksichtsvollen Familienmenschen plötzlich, wie aus dem Nichts, ein wütender Mann wird. Aber es geht nicht nur um ihn. Jungregisseur Philipp Leinemann (das Drehbuch schrieb Conni Lubek) inszeniert auch Tempels im Rollstuhl sitzende Frau Sandra (Chiara Schoras) überraschend unpathetisch und Tochter Juni (Michelle Barthel), die mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen hat, einfühlsam.

Die Prostituierte Eva (Antje Traue) überzeugt als mysteriöse, aber vielschichtige femme fatale. Bis in die kleinste Nebenrolle sind hier alle Schauspieler (Aleksandar Jovanovic ist als Gegenspieler Milan, obwohl er nur wenige Auftritte hat, unglaublich präsent) perfekt besetzt.

"Welcher Kiez? Der Kiez ist wegsaniert"

Brillant spielt Thomas Thieme den Unterwelt-Boss Jakob, der mitansehen muss, wie sich sein Berliner Viertel Wedding verändert: "Den Kiez, welchen Kiez? Der Kiez ist wegsaniert. Guck dich doch um, nur noch diese arschlosen, körperfressenden Yoga-Fotzen, das ganze Yuppie-Pack, immer schön gesund, Ficken und Koksen nur an Sonn- und Feiertagen, kann doch keine Sau davon leben. Die sind drei Tage hier, dann sagen die mein Kiez, dann machen sie Anwohner-Initiativen, dass sich bloß nichts verändert, die kapieren ja noch nicht mal, dass sie die verschissene Veränderung sind."

"Tempel" funktioniert nicht nach klassischen, gelernten, bausteinartigen Krimi-Erzählmechanismen. Mutig nehmen sich die Serienmacher Zeit für ihre Figuren. "Tempel" ist daher manchmal auch langsam. Vielleicht werden die Figuren in ihrer Menschlichkeit ein wenig überhöht - aber das macht nichts. "Tempel" ist realistisch und romantisch zugleich. Die Serie ist definitiv mehr "The Wire" als "Tatort".

In Folge drei wartet "Tempel" mit Szenen auf, die man so im deutschen Fernsehen noch nicht gesehen hat. Einerseits sieht sich Tempel mit dem Wunsch seiner Patientin Frau Lada nach Sterbehilfe konfrontiert. Wie das mit der Beseitigung einer Leiche "gelöst" wird, ist durchaus erschütternd, aber psychologisch nachvollziehbar. Ganz nebenbei wird in kleinen Szenen mehr erzählt als in manchen abenfüllenden TV-Filmen - etwa als die Prostitutierte Eva vor einem Koffer mit niemals an ihren 16-jährigen Sohn abgeschickten Geburtstagsgeschenken sitzt.

Vermutlich ist die Serie auch aufgrund dieser Szenen nur im Nachtprogramm zu sehen. Das ist inhaltlich offenbar nicht jedem Seher zumutbar.

Teil 1-3 der Serie sind online in der ZDF-Mediathek abrufbar. Ab 21:45 folgen am Dienstag, 6. Dezember, Folge 3+4 im regulären TV auf ZDFneo.

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