"Tatort" Köln: Kein Seelenfrieden nach Silvester

Tatort: Wacht am Rhein
Tatort: Wacht am Rhein(c) WDR/Thomas Kost
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Nach der Silvesternacht in Köln hat sich eine Bürgerwehr gebildet. In "Wacht am Rhein" stehen einander Zuwanderer und selbsternannte Sheriffs gegenüber.

Unsere Wertung für diesen "Tatort":

8,5 von 10 Punkten

Worum geht's in "Wacht am Rhein"?

Bei einem Überfall auf einen Laden wird ein Mitglied der Kölner Bürgerwehr "Wacht am Rhein" erschossen. Deren Vertreter benehmen sich wie selbsternannte Sheriffs und machen lautstark gegen Zuwanderer mobil. Ihr Motto: Wenn uns die Polizei nicht hilft, dann nehmen wir unsere Sicherheit selbst in die Hand. Und während sich die Bürgerwehr als Verteidiger des Vaterlandes aufspielt, entgleist bei einigen die Selbstgefälligkeit in Richtung Lynchjustiz. Als die Polizei noch nach einem möglichen Verdächtigen sucht, verschwindet ein tunesischer Student spurlos . . .

Worum geht's noch?

Es geht um die Wunden, die die Ereignisse der Silvesternacht 2015/16 in Köln in das Vertrauen der Gesellschaft geschlagen haben: Das ohnehin den Fremden gegenüber vorhandene Misstrauen schlägt in "Wacht am Rhein" in gewaltbereiten Hass um. Dabei geht es hier auf beiden Seiten um Menschen, die Sicherheit suchen: Die einen fliehen aus ihrer Heimat und hoffen, es in Deutschland besser zu haben. Die anderen meinen, ihr Hab und Gut und ihre Werte mit der Waffe in der Hand verteidigen zu müssen. Gut und Böse sind in diesem "Tatort" keine klar definierten Kategorien - am Ende ist alles Grauzone.

Wer ermittelt?

Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) sind ein eingespieltes Team: Keine Actionhelden à la James Bond, eher die ruhigen Beamten, die die Begriffe Recht und Ordnung offenbar schon mit der Muttermilch aufgesogen haben. Sie halten sich an die Regeln und sielen Fair Play. Da ist es schon überdurchschnittlich spektakulär, dass diesmal einer von ihnen für einige Minuten k.o. geschlagen wird. 

Was gefällt?

Dieser "Tatort" greift ein heißes Eisen auf: aktuell und gesellschaftlich relevant. Im Radio wird vom Wahlsieg des Donald Trump berichtet, und auf der Straße braut sich etwas zusammen, das durchaus auch in der Realität so oder so ähnlich kommen könnte: Ein Funkte genügt, um dieses Pulverfass voller Vorurteilen und Misstrauen in die Luft zu jagen. Der Titel des Films ist perfekt gewählt: Im deutschen Volks- und Soldatenlied "Die Wacht am Rhein" ist von Heldenblut, flatternden Fahnen und tapferen Jünglingen die Rede, die ihr Vaterland gegen den "Feind" verteidigen. Wehe dem, der zu Unrecht als solcher deklariert wird.

Wer tritt auf?

Ballauf und Schenk sind gerade auf der Straße unterwegs, als sie an einem Mann vorbeikommen, der Saxofon spielt, um sich ein paar Münzen zu verdienen. "Ist das nicht . . ?", fragen sich die beiden kopfschüttelnd, können es aber nicht glauben und gehen weiter. Ja, es ist: Klaus Doldinger, der die "Tatort"-Titelmelodie komponiert hat. Nach über 40 Jahren und mehr als 1000 Folgen ist er erstmals in der Krimireihe zu sehen - und zu hören. Sehr nett! 

Wo hakts dann doch ein bisschen?

Ballauf und Schenk arbeiten derart brav nach Vorschrift, dass man sich am Ende wundert, dass sie diesen verzwickten, beunruhigenden und sehr traurigen Fall doch noch lösen. Andererseits: Wie die beiden mit Maßband und ganz ohne High-Tech-Geräte à la US-Hochglanzserien den Tatort vermessen, sich praktisch wortlos mit "Hmm", "Mmmh" und "Ahmm" verstehen, das ist schon richtig kultig. Am Ende gibt's zwar eine Lösung, aber kein Aufatmen: "Ich wollte einfach meinen Seelenfrieden", sagt der Todesschütze. So kann man sich täuschen.

"Tatort: Wacht am Rhein": 15. 1., 20.15 Uhr, in ORF 2 und im Ersten

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