Was Grissemanns Gesicht uns sagt

„Willkommen Österreich“, erstmals eine halbe Stunde früher. Die Witze über die Zusammenlegung von Gemeinden waren einfach schlecht. Sie wären um elf nicht besser gewesen und um viertel neun nicht.

Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen kaputtgemacht geworden sind?“, sic, ja, so hieß 1998 das erste Buch von Stermann und Grissemann. Das fiel einem ein, der die beiden wieder einmal im Fernsehen sehen wollte, wo sie soeben auf 22 Uhr vorverlegt geworden sind, ein halbes Stündchen näher dem sog. Hauptabend. Dann sah man Dirk Stermanns blitzblaues T-Shirt – mit V-Ausschnitt, von der Art also, wie es FP-Jungpolitiker trugen, als ihre Sonne des Südens noch schien – und fragte sich, was sich die New-Wave-Generation zwanghaft fragt: Trägt er dieses Stück mit Ironie oder ohne? Später scherzte Stermann mit Lukas Resetarits darüber, dass Haider, nicht Jörg, sondern Alfons, derlei T-Shirts trage; das spricht für die Antwort: mit Ironie. Und für die These, dass sich die beiden doch noch ein bisschen verkleiden für ihre Auftritte in der Arena namens Talkshow, die man vielleicht gar nicht mehr so grässlich findet, wenn man sie gewohnt ist. Wenn man es normal findet, jeden Gast mit Küsschen auf beide Backen zu begrüßen.

Aus der Zeit, als er das vielleicht noch nicht normal fand, hat sich Christoph Grissemann seine Sprich-mich-nicht-an-in-der-U-Bahn-Visage bewahrt. Sie verkörpert, was die New-Wave-Generation zwanghaft anstrebt: dass man im Mainstream küsst und geküsst wird, aber noch die Narben des Underground trägt. Dass man nicht ganz dazugehört, böse Miene zum guten Spiel macht.

Resetarits sprach von seiner schwer bezähmbaren Lust, Ohrfeigen auszuteilen an jene, die es verdient haben: ein irgendwie doch sympathisches Geständnis des alten, abgeklärten Dagegenreders. Die paar Pointen, die ihm im Gespräch mit den auch nicht mehr so jungen Kollegen einfielen, waren jedenfalls besser als alle aus der Anfangsconférence. Auf die Gefahr hin, einen Gag-Schreiber zu kränken: Die Witze über die Zusammenlegung von Gemeinden z.B. waren einfach schlecht. Sie wären um elf nicht besser gewesen und um viertel neun nicht, im düstersten Underground nicht und nicht im hellsten Hauptabend. Dort werden wir uns alle einmal wiedersehen, in alter Frische, wie man so sagt, und mit den letzten Resten von Distanz im Gesicht, die den Wissenden zuflüstern: Wir waren nicht immer hier!

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2012)

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