Das Tagebuch der Gaddafi-Gräuel

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Antonia Rados über den Vergewaltiger Gaddafi: Eine zähe Suche nach brutaler Wahrheit – aufgebauscht fürs Privat-TV.

In Hosen und Staubmantel, die Handtasche mit der versteckten Kamera fest unter den Arm geklemmt, hat sich Antonia Rados vier Mal auf den Weg nach Libyen gemacht, um einem Gerücht nachzugehen, das ihr – noch vor dem Sturz Muammar al-Gaddafis – ein Taxifahrer zugeflüstert hatte: Der Diktator habe junge Frauen vergewaltigt. „Beinahe täglich... brutal... und systematisch“, wie Birgit Schrowange in outriertem Tonfall zum Auftakt von „Extra spezial“ am Montag auf RTL ankündigte: „Was sie herausfand, sprengt fast alle Vorstellungskraft.“

Tut es das? Rados liefert in ihrer tagebuchartigen, chronologisch geschnittenen Reportage weitere Bausteine zum Puzzle kranker Gräueltaten des gelynchten Diktators – Überraschungen sind keine dabei. Sie begibt sich in durchgewetzten Taxis, auf staubigen Straßen auf eine aufreibende Suche nach Zeugen – die meisten können oder wollen nicht offen reden. Dass Rados den Ungeheuerlichkeiten, denen sie dennoch auf die Spur kommt, durch journalistische Tricks eine (so das überhaupt möglich wäre) noch dramatischere Dimension zu verleihen versucht, ist keine gute Idee. Es untergräbt ihre Glaubwürdigkeit, die sie sich in Jahren zäher Arbeit zweifellos erkämpft hat.


Wenn Leibwächterin Aisha sich an keine Vergewaltigungen erinnern will, kommentiert Rados aus dem Off: „Für Aisha ist es wohl unmöglich, darüber zu reden.“ Ein YouTube soll den Beweis für Vorbereitungsfeste von Gaddafis Gespielinnen liefern. Da ist sich Rados aber selbst nicht sicher. Als sie das Schlafzimmer in einer leeren Wohnung Gaddafis am Uni-Campus betritt, sagt sie bedeutungsschwanger: „Ein beinahe stimmungsvolles Liebesnest.“ Und wenn sich die Mädchen aus dem Waisenhaus nicht filmen lassen wollen, dann lässt Rados szenisch nachstellen, wie Gaddafi sie in einer Reihe aufstellt, um sich junge Frauen auszusuchen, die in Bonzen-Autos steigen, wegfahren.

Vielleicht muss Rados für den kommerziellen Sender RTL so arbeiten, aufbauschen. Nötig hätte sie es nicht.

isabella.leitenmueller-wallnoefer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2012)

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