Krassnigg: "Ich bin leider sehr leicht erregbar!"

Krassnigg leider sehr leicht
Krassnigg leider sehr leicht(c) Teresa Zoetl (Www.momentfang.com)
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Anna Maria Krassnigg ist seit 1. Juli Universitätsprofessorin für Regie am Wiener Reinhardt-Seminar. Der "Presse am Sonntag" erklärte sie die Gründe für die Proteste gegen ihre Bestellung.

Um Ihre Bestellung gab es harte Kontroversen. Der Erstgereihte im Berufungsverfahren, Stefan Bachmann, ab 2013 Intendant des Kölner Schauspielhauses, fühlte sich übergangen. Auch die Studenten protestierten. Da wird dicke Luft herrschen, wenn Sie im Herbst zu unterrichten beginnen?

Anna Maria Krassnigg: Der große Teil der Protestierenden stammt nicht aus der Regie-, sondern aus der Schauspielklasse. In meiner Regieklasse herrscht seit neun Jahren beste Luft. In dieser Zeit war ich Gastprofessorin am Reinhardt-Seminar. Diese normalerweise auf zwei Jahre befristete Tätigkeit wurde immer wieder verlängert. Das passiert nur bei sehr guter Evaluierung.

Die Schauspielstudenten wünschen sich einen Professor, der ihnen Jobs verschaffen kann. Das ist bei Bachmann, der ein großes Haus führt, wahrscheinlicher als bei Ihnen, die Sie die Gründerin und Leiterin der Off-Bühne „Salon 5“ sind.

Ich habe internationale Erfahrung, habe in der Schweiz und in Deutschland inszeniert. Man muss sich entscheiden: Ist das Reinhardt-Seminar ein Institut für die Lehre oder eine Agentur für das Kölner Schauspielhaus? Stefan Bachmann sitzt auf einem der heißesten Intendanten-Stühle Deutschlands. Karin Beyer hat aus dem nicht wirklich brillant dastehenden Schauspielhaus Köln eine allererste Bühne gemacht. Dort die Nachfolge anzutreten ist wirklich eine Herausforderung.


Sie sind die einzige Regieprofessorin am Seminar. Glauben Sie, dass Sie bekämpft werden, weil Sie eine Frau sind?

Das klingt immer so furchtbar polemisch und banal. Faktum ist, dass hohe Herren, die gewiss sehr gut und kompetent sind, auf den Ordinarien sitzen. Die Gastprofessuren haben oft die Frauen. Mir hat diese Arbeit großen Spaß gemacht. Trotzdem hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn man mir nach zwei Jahren gesagt hätte, Frau Krassnigg, das war wunderbar, jetzt wollen wir etwas Neues. Gastprofessuren sind Trittbrett- und Wackelprofessuren. Die Arbeitsbienen dort halten den Laden am Laufen. Wenn die Gefahr droht, dass so jemand ein Ordinariat bekommt, gibt es eine Riesendiskussion und schon ist er abserviert.

Die meisten Studenten am Reinhardt-Seminar sind Deutsche. Warum?

Zum einen hat es damit zu tun, dass Deutschland eben größer ist als Österreich. Viele treten zehn- bis zwölfmal an verschiedenen Schulen an, es gibt ganz wenige, die beim ersten Mal genommen werden. Im Moment haben wir mit fünf oder sechs Österreichern einen starken Jahrgang, es gab aber auch schon Jahrgänge, in denen keiner oder einer da war. Die Österreicher haben ein mangelndes Selbstwertgefühl, dabei gibt es tolle österreichische Schauspieler: Regina Fritsch, Ulrike Beimpold, Petra Gstrein, Nicholas Ofczarek, Florian Teichtmeister, Martin Schwanda, er ist der neue Qualtinger. Ich nenne da jetzt bewusst eine Mischung aus mehr oder weniger Berühmten. Es hat eben nicht nur mit Können, sondern auch mit Glück zu tun. Bei Regie-Aufnahmeprüfungen kommen viele deutsche Kollegen, die eine Theatervorbildung haben. Da gibt es in Deutschland viel mehr Angebote in Gymnasien. Jedes Theater hält sich einen Theaterklub, dort werden Jugendliche auf hohem Niveau ans Theater herangeführt. In Österreich fängt das erst an, die Junge Burg gibt es seit drei Jahren. Wir haben bei unserem „Jungen Salon“, da wir ja im 15.Bezirk sind, sehr viele Kinder mit Migrationshintergrund.

Die Eltern sind oft nicht begeistert, wenn Kinder zum Theater tendieren.

Mittlerweile gibt es viele Eltern, die sagen, wenn er/sie das unbedingt will, soll er/sie das machen – und dann sind die Eltern sehr beeindruckt, wenn sie sehen, wie diese Erfahrung ihre Kinder verändert. Sie stürzen sich auf schwierige Themen wie Shakespeare. Wir hatten Mädchen, die haben sich „Richard III.“ ausgesucht.

Welche Trends sehen Sie im Theater? Gibt es da noch Neues? Welttheater ist kein Begriff mehr aus dem Barock, sondern mehr wie Weltmusik Theater aus vielen verschiedenen Ländern.

Die Geschichte bewegt sich in Kreisen. Seit der Antike erkundet das Theater den Menschen, das wird immer weitergehen. Ich persönlich glaube, der innovative Moment wird darin liegen, dass man sich wieder mehr traut, eine Haltung, eine Handschrift zu zeigen. Es gibt viel zu wenig Theater, das Türen öffnet, neue Perspektiven zeigt.

Ist das Reinhardt-Seminar noch gut genug? Im Schauspielbereich unterrichten viele, die man kaum oder nie auf einer Bühne sieht. Wie soll das funktionieren?

Der prominente Schauspieler oder der prominente Regisseur ist nicht unbedingt der bessere Lehrer. Ich hatte Hermann Kutscher, diesen großen, alten Josefstädter Zyniker, er hat Hans Neuenfels, Thomas Birkmeir, Cornelia Crombholz ausgebildet. Als Regisseur ist Kutscher nicht in die internationalen Annalen eingegangen, aber er war ein Lehrer von Gottes Gnaden. Und er hat das Österreichische vermittelt. Bitte mich jetzt nicht misszuverstehen, man traut sich das gar nicht mehr auszusprechen. Ich meine das nicht im Sinne von Marillenknödeln und Biedermeier. Das Österreichische ist interessant in einem Geistes- und Kulturzusammenhang, der nicht mit Thomas Bernhard oder Gert Jonke endet. Diese Wiener Schule ist ein eigener Raum. Das muss eine Spezialität des Reinhardt-Seminars bleiben. Hermann Kutscher kannte sich in diesem Raum aus. Bei vielen nachkommenden Kollegen aus deutschsprachigen und anderen Literaturräumen ist das eben nicht der Fall. Das muss man auch einmal sagen dürfen.


Sie haben einen Sohn und eine Stieftochter. Wie balancieren Sie Arbeit und Beruf? Sie wirken streng, sind Sie eine strenge Mutter?

Ich bin für meine schlauen Kinder schon gut durchschaubar, und ich weiß das. Das relativiert die Strenge. Wenn ich allerdings merke, dass sich ein Kind durch Ignoranz und Faulheit selbst gefährdet, kann ich sehr konsequent sein. Ich bemühe mich, auch wenn es anstrengend und zeitraubend ist, mit Großen wie mit Kleinen in einem ständigen Austausch zu bleiben. Wir sind ein kleines Ensemble. Meine Kinder haben früh begriffen, dass das nichts mit gemeinsamen Genen zu tun hat. Sie haben „Ice Age“ gesehen. Die Hauptcharaktere sind unterschiedlichste Tiere, dennoch bezeichnen sie sich als Herde. Meine Kinder sagten: „Das sind wir. Wir sind eine Herde.“

Herde hat auch einen negativen Beigeschmack und Ensemblespiel – gibt es das noch in der Bühnenkunst? Schauspieler drehen, spielen Theater, machen Lesungen. Sie müssen schauen, wo sie ihr Geld auftreiben, und sich durchboxen – ohne Skrupel.

Klarerweise haben Ensembles einen Sinn, denken Sie an Nikolaus Harnoncourts Concentus Musicus! Ein gutes Ensemble beherrscht die Kunst des Zusammenspiels, es kann in die Tiefe gehen, wie es eine zusammengewürfelte, von einem Mastermind geleitete Gruppe nie kann. Beim Ensemble ist das Herzblut jedes Einzelnen dabei.

Burgschauspieler, hieß es jüngst in einer Evaluierung, spielen selten – und dass sie gern gegen den Direktor intrigieren, hat nicht nur Claus Peymann beklagt.

Von der Theaterkumpanei könnte ich Ihnen pikante Geschichten erzählen. Trotzdem müssen wir beim Ensemble-Gedanken auf den Spuren Max Reinhardts bleiben. Es muss eine künstlerisch streitbare, keine demokratische Einigung zwischen Regisseur und Schauspieler geben, ein befruchtendes Seilziehen. Die Engführung im Seminar zwischen Schauspiel und Regie ist kein Zufall, das bedeutet etwas.

Die meisten Schauspieler finden keinen Job.

Unsere Absolventen bekommen relativ schnell für zwei Jahre ein Engagement, weil sie gut und billig sind. Wenn sie dann aber in Castrop-Rauxel sitzen, kommen sie dort sehr schwer wieder weg. Dann beginnt das Elend. Mit der Regieklasse haben wir in den letzten Jahren Preise gewonnen.

Theatermenschen müssen wie viele andere reisen. Ist es gut, wenn sie Kinder haben, oder sollten sie sich besser wie manche Burgschauspielerinnen früher dem hehren Dienst an der Kunst weihen?

Familienleben ist in Wahrheit mit Bedeutung und Karriere schwer vereinbar. Ich glaube aber, dass Menschen, die sich das zumuten, eine enorme Bereicherung für ihre Berufe sind, egal, welche. Und für die Kunst sind Kinder, eine Familie überhaupt, extrem wichtig. Das wird sonst alles sehr blutleer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2012)

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