Matthes: „Ich genieße in Salzburg das Bad in den Musen“

(c) EPA (SOEREN STACHE)
  • Drucken

Ulrich Matthes erzählt vom Staunen über Heinrich von Kleist, verrät einen Wunsch zum „Jedermann“, gesteht die früh entwickelte Lust am Vorlesen und schwärmt von dem großen Privileg, auf der Bühne zu stehen.

Die Presse: Wenn man in Salzburg als Schauspieler gute Figur macht, und das haben Sie eindeutig schon mehrfach, wird man gefragt, ob man denn nicht beim „Jedermann“ mitmachen wolle. Welche Rolle würde Ihnen denn da gefallen?

Ulrich Matthes: Ich war tatsächlich immer wieder mal ein bisschen beleidigt, dass ich noch nicht gefragt worden bin (lacht). Oh, kann ich das tatsächlich so sagen?

Unbedingt. Dann wird es vielleicht wirklich was mit dem Domplatz. Es muss ja nicht die Titelrolle sein. Die kleineren Parts sind doch viel interessanter als dieser Kraftakt in gebundener Sprache.

Sagen Sie doch mal, wen würden Sie denn spielen wollen?

Ich will den Teufel spielen. Und den Mammon. Lasst mich auch die Buhlschaft spielen!

Apropos: Da erinnere ich mich an Sophie Rois. Die verehre ich, aber als ich hörte, dass sie diese Rolle spielen sollte, dachte ich: hoppala! Dann habe ich sie gesehen: großartig! Charming! – Ich glaube, ich möchte den Tod spielen. Oder den Teufel?

Sie haben in Salzburg soeben einen umjubelten Soloabend mit Briefen des todessüchtigen Heinrich von Kleist gegeben. Der Prinz von Homburg stand am Anfang Ihrer Bühnenkarriere. Welche Erinnerung daran ist geblieben?

Kurios an meiner frühen Beschäftigung mit Kleist war, dass ich bereits beim Studium der Germanistik meine Zwischenprüfung über den „Homburg“ abgelegt habe. Ich wollte Lehrer für Deutsch und Englisch werden. Damals wollte ich alle diese wunderbaren Rollen schon gar nicht mehr intellektuell bearbeiten, mit Unmengen an Sekundärliteratur, sondern ich wollte sie spielen! In Krefeld war ich zuerst Hamlet, dann Homburg. Der Samen für eine lebenslange Kleist-Begeisterung war gelegt. Aber es ist für mich bei diesem einen Kleist-Stück geblieben. Kein Amphytrion, gar nichts.

Schade! Sie haben dann aber Mitte der Neunzigerjahre diesen Vortragsabend erarbeitet.

Da kam glücklicherweise Hermann Beil mit dieser Fassung der Briefe für „Geschichte einer Seele“, sodass ich mich auf Umwegen mit diesem Kosmos befassen konnte. Ich habe den Monolog dann allein erarbeitet – ohne Regisseur, Assistent, Souffleuse, total allein. Das war eine merkwürdige Erfahrung.

Sie haben das mehr als hundert Mal gespielt. Identifizieren Sie sich inzwischen mit Kleist?

Nein, wirklich nicht! Diese Art extremer Verzweiflung habe ich nicht. Ich habe in den Neunzigern den Kleist-Abend vier Jahre lang immer wieder gespielt, dann war Schluss. Es hatte sich auserzählt. Aber vor drei Jahren wollte ich sehen, was das Leben mit meinem Verhältnis zu diesem Großwerk gemacht hat. Ich habe reduziert. Kein historisches Kostüm mehr, kein Stehpult. Natürlich hat sich der Abend auch verändert, weil ich älter geworden bin, einfacher werden will. Aber das kann nicht bedeuten, halbherzig dranzugehen. Man muss die Extreme dieser Existenz ausloten. Das wird für mich nie Routine. Die Konzentration des Publikums ist zum Glück immer sehr hoch. Davon hängt auch viel ab.

Ab wann sollte man Kleist lesen? Ist der nicht ziemlich gefährlich für die Jugend?

Nee! Dann wären Grimms Märchen ja auch gefährlich! Man soll doch ein Kind eher über- als unterfordern! Kleists Sprache ist von einer erlesenen Schönheit, Kraft und Musikalität. Wer das schätzt, kann gar nicht anders, als seine Freude mit ihm zu haben. Neulich war eine Schulklasse zu meiner Vorstellung in Berlin verdonnert. Diese Siebzehnjährigen schrieben mir danach einen Brief, wie toll das war, wie zeitgenössisch der Autor sei. Super!

Wie hat sich Ihre Lektüre durch die Jahre der intensiven Beschäftigung entwickelt?

Mehr und mehr staune ich beim Lesen darüber, durch welche Persönlichkeitskrisen Kleist ging. Es wurde für ihn immer schwerer „ich“ zu sagen. Ich nenne meinen Abend bewusst „Geschichte einer Seele“. Dass eine Person in die unterschiedlichsten Möglichkeiten aufgesplittert wird, macht auch seine Modernität aus. Kleist versucht immer wieder, sich neu zu definieren. Das gilt auch für uns merkwürdige, globalisierte Tausendfüßler, die sich virtuell ununterbrochen in die entlegensten Winkel der Welt verknüpfen wollen. Was bleibt da noch von so was wie Individualität und Charakter übrig? Diese Frage stellt sich Kleist in fast allen Texten.

Welcher Text ist Ihnen am wichtigsten?

Die Frage habe ich mir selbst schon oft gestellt. Ich komme immer wieder zum „Zerbrochnen Krug“. Er ist meinem Herzen das Nächste und hat mit der Eve wahrscheinlich die schönste Frauenfigur der deutschen Literatur. Und er hat Humor! Wie Kafka. Man kann lachen über diese absurden Situationen, über eine menschliche Komödie mit extremsten Menschen-Möglichkeiten, über denen das Tragische als Schatten liegt. Vielleicht inszeniere ich den „Zerbrochnen Krug“ ja mal! Wenn ich den Adam schon nicht spiele!

Kleist ist auch ein Autor des Manisch-Depressiven. Nun ist das Schauspielerleben wohl auch ein derart exponiertes, dass man es sich nicht ohne Stürme vorstellen kann. Haben Sie schon einmal eine größere Krise wegen Ihres Berufes gehabt?

Ich habe nie daran gedacht, das Spielen aufzugeben. Nie! Es ist solch ein Privileg auf der Bühne zu stehen. Ich war auch relativ schnell ziemlich erfolgreich mit dem Talent, das ich wohl habe. Es ging gleich mit den großen Rollen und mit Auszeichnungen los. Der Beruf ist zwar hart, man steht ungeschützt mit seinem ganzen Körper vor dem Publikum, aber man kann auch einmal Nein sagen, man muss nicht alles mitmachen.

Was sind Ihre Schwächen? Und wurden Sie von einer Kritik auch schon schwer verletzt?

Man merkt sich die heftigen Verrisse viel länger als die Hymnen! Das Negative habe ich vor allem dann im Langzeitgedächtnis, wenn ich es als „ungerecht“ empfinde. Man weiß doch selbst am besten, wie weit man bei der Aufführung gekommen ist, wo es noch wackelt. Traurig ist auch, dass im Zentrum vieler Kritiken heute nur noch die Regie steht und bei manchen die Schauspieler nur noch am Rande erwähnt werden, mit ein paar freundlichen oder unfreundlichen Adjektiven versehen.

Sie machen auch Hörbücher, die besten Autoren. Was sind da die Anreize und Herausforderungen?

Entscheidend ist die Liebe zur Sprache an sich, zur Literatur. Ich habe schon als Sechsjähriger, kaum konnte ich lesen, meiner Mutter gern vorgelesen. „Der Text und ich“ – das ist eine enorm lustvolle Kombination. Sie kann auch anstrengend sein: Ich habe unlängst das vorletzte und längste Kapitel des „Ulysses“ von Joyce aufgenommen. Darauf habe ich mich intensiv vorbereitet, mit Lexika und Google, habe die Satzstruktur und die Stimmungen genau studiert, aber es hat mich dennoch an die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit geführt. Ich wollte aber keinesfalls scheitern. Es war irre schwer, ist aber, glaube ich, ganz gut geworden. Die Arbeit ist vergleichbar mit der eines Pianisten. Mein Text ist voller Striche und Schlangenlinien und Anmerkungen. Vor dem Mikrofon muss es aber sitzen und dennoch den improvisatorischen Charakter bewahren.

Noch eine letzte Frage zu Salzburg: Was mögen Sie an diesem Ort besonders?

Ich genieße das Bad in den Musen (lacht).Überall singt und tiriliert es, man wird kreativ angeregt, man trifft ständig irgendwen – großartig! Und kennt ja auch alle. Das Perlenketten-Getue allerdings, das ganze Remmidemmi der Sponsoren interessiert mich null. Ich bin vielleicht doch ein bisserl zu preußisch für dieses Barock-Österreichische.

Leben und Werk

1959 geboren in Berlin, wo Matthes während des Studiums der Germanistik und Anglistik privaten Schauspielunterricht nahm.

Achtzigerjahre Debüt an den Vereinigten Bühnen Krefeld/Mönchengladbach, dann Düsseldorfer Schauspielhaus, dann Bayrisches Staatsschauspiel und Kammerspiele München.

Seit 2004/2005 festes Ensemblemitglied am Deutschen Theater in Berlin. 2005 für seine Rolle in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ und 2008 in „Onkel Wanja“ als Schauspieler des Jahres ausgezeichnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.