Salzburg: Was geht uns dieser verwöhnte Hamlet an?

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Der Shakespeare-Klassiker erfreut in einer unheimlichen südkoreanischen Version der Truppe Tuida, die seit Montag im Salzburger Stadtkino gastiert. Die unlösbaren Konflikte werden durch die Masken sichtbar.

Mit Shakespeares „Hamlet“ ist schon fast alles angestellt worden, sogar Frauen haben den zweifelnd, verzweifelnden Dänenprinzen gespielt (in Wien: große Schauspielerinnen wie Angela Winkler, Ursula Höpfner). „Warum gerade Hamlet? Es gibt scheinbar nichts Neues mehr dazu zu sagen“, schreibt im Programmheft Han Jung-Riem, Komponist der südkoreanischen Truppe Tuida, die seit Montag im Salzburger Stadtkino gastiert – außerhalb des Young-Directors-Wettbewerbs. Nach anfänglichen Irritationen über das ungewohnte Erscheinungsbild der Aufführung stellt sich heraus, dass der Gruppe recht viel zu „Hamlet“ eingefallen ist.

Das Konzept ist nicht neu: Tuida erkundet sozusagen naiv die Hamlet-Geschichte. In dieser ist zwar die Handlung etwas willkürlich umgestellt, aber die Verwandlung des britischen Stückes in ein asiatisches Epos gelingt glücklich. Die Akteure lesen gemeinsam „Hamlet“, wobei sie sich ernste Fragen nach Tod, Schuld stellen, aber auch lustige, wie sie wohl manchem einfallen, der zum ersten Mal mit dem komplexen Werk Bekanntschaft macht: Warum gibt Hamlet nicht einfach Ruhe? Er ist aus bestem Hause, reich, hat eine schöne Frau gefunden, Ophelia, warum zieht er mit ihr nicht in eine Villa am Meer, genießt sein Leben? Ja, warum?

Im asiatischen Theater hat die Künstlichkeit einen hohen Stellenwert, während man in Europa und Amerika seit Jahrzehnten um größtmögliche Natürlichkeit ringt. Das war nicht immer so. Auch das antike Theater bevorzugte Stilisierung, um seine Wirkung zu steigern: Maske und Kothurn. Fast mehr als in europäischen Aufführungen werden die unlösbaren Konflikte in „Hamlet“ durch die Masken, die schrille Hochsprache in vielen Facetten, die geisterhafte Atmosphäre und die akzentuierende Musik sichtbar: der Vaterkomplex, der den Prinzen an die Vergangenheit fesselt, sein aggressives Verhältnis zur Mutter, vor allem aber der Schrecken des Wahnsinns und des Todes. Hamlet selbst wirkt wie eine Mumie. Einer der wunderbarsten Momente ist, wenn Ophelia, ein weißes Schemen-Wesen mit langem Haar, bevor sie ins Wasser stürzt, sich zum Flug erhebt, ihre Seele ist quasi schon fort, bevor ihr Körper verschwindet.

„Hamlet“ gewinnt hier eine geheimnisvolle Magie, aber auch Leichtigkeit dadurch, dass sich die graugrün kostümierten, rituell, aber auch burlesk agierenden Spieler immer wieder versammeln und mit Alltagssprache, auch mit Kraftausdrücken, das Geschehen hinterfragen und kommentieren. Eines der wenigen Dekorationselemente ist eine Pawlatschen, die auch ein Karren für Agrarprodukte sein könnte – oder für Leichen.

Kurz und bündig, aber nicht deformiert

Am Ende werden verschiedene Varianten vom Ende des „Hamlet“ ausprobiert, bevor das originale Finale stattfindet – und der Rest Schweigen ist. 100 Minuten dauert die Performance. Vieles vom Originaltext wurde verwendet. Die Story wirkt weder verstümmelt noch verfremdet. Die heutige Situation des „Tiger-Staates“, in dem der wirtschaftliche Erfolg alles zu sein scheint, auch auf Kosten der geistigen und spirituellen Welt, klingt durch. Eine spannende Kreation, die den Namen Crossover wahrlich verdient, ist Regisseur Bae Yo-Sup und seiner Truppe hier gelungen. Leider war die Premiere halb leer, der Applaus klang dafür kräftig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2012)

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