Föttinger: „Ich wollte immer Theaterdirektor werden“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wenn seine Josefstadt als „Schnarchtheater“ bezeichnet wird, reagiert Herbert Föttinger garantiert aufbrausend. Als Chef hat er seit 2006 gegen das verstaubte Image angekämpft, indem er auf Ur- und Erstaufführungen setzte.

Im verflixten siebten Jahr als Direktor des Theaters an der Josefstadt gehen Sie ein bisserl fremd. Sie führen im Frühjahr 2013 bei Beethovens „Fidelio“ Regie, im Theater an der Wien. Was hat Sie dazu bewegt?

Herbert Föttinger: Roland Geyer hat mich gefragt, ob ich die Oper machen möchte, mit Nikolaus Harnoncourt als Dirigent. Das ist ein Angebot, welches man nicht ablehnen kann. Stundenlang habe ich mit Harnoncourt über „Fidelio“ gesprochen. Was für ein kluger, was für ein wissender Mann!

Wird die Beschäftigung mit der Befreiungsoper demnächst auch auf die Josefstadt abfärben? Ist mit Stücken von Schiller, Kleist oder gar Büchner zu rechnen?

In Wahrheit haben die Klassiker in der Josefstadt nie wirklich funktioniert. Vielleicht ist der Bühnenraum nicht groß genug. Aber auch das möchte ich nicht auf dem Haus sitzen lassen, also werde ich es im übernächsten Jahr mit Shakespeare probieren.

Sie haben als Schüler mit 16 eine Theatergruppe gegründet, im Waldviertel. Wollten Sie also immer schon Direktor werden?

Es gibt Sechzehnjährige, die wollen Papst werden, oder zumindest Albert Schweitzer. Ich wollte immer Theaterdirektor werden. Bei meiner ersten Theatergruppe, mit der ich „Das Gespenst von Canterville“ im Pfarrsaal Harth des Stiftes Geras aufführte, habe ich die Regie übernommen. Dann sind wir dort hinausgeflogen und unsere Gruppe ist mit dem klingenden Namen „Troubadour“ durch die Waldviertler Gasthäuser gezogen. Aber da auch ein Papst als kleiner Kaplan anfangen muss, habe auch ich meine Profikarriere nicht als Theaterdirektor, sondern als kleiner Schauspieler begonnen.

Was haben Ihre Eltern dazu gesagt?

Meine Mutter, die ein sehr musischer Mensch war, hat mich bestärkt. Und mein Vater, der Bibliothekar in der Nationalbibliothek war, hat mich mit Literatur gefüttert. Schon mit sechs Jahren hat er mir Gedichte von Goethe vorgelesen. Das sind schöne Gaben, die mir meine Eltern auf den Weg zum Künstler mitgegeben haben und ich bin ihnen sehr dankbar dafür.

Leicht haben Sie es angeblich nicht gehabt.

Ich habe die Aufnahmsprüfung am Reinhardt-Seminar gemacht und bin durchgefallen. Ich bin nach Salzburg gefahren, habe an der dortigen Schauspielschule die Aufnahmsprüfung gemacht und bin durchgefallen. Aber eine meiner nicht zu übersehenden Charaktereigenschaften, schon damals, ist die Sturheit. Ich habe privaten Schauspielunterricht bei Peter Jost genommen, war Statist am Burgtheater. Von dort bin ich in die deutsche Provinz gegangen, nach Hof an der Saale.

Wie kamen Sie dann zur Josefstadt?

Ich wollte am Volkstheater unbedingt den Alfred in Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ spielen, aber die Direktorin Emmy Werner sagte mir, den werde der Fritz Hammel spielen. Zu dieser Zeit inszenierte Karlheinz Hackl das Stück in der Josefstadt. Dem habe ich geschrieben, dass ich unbedingt den Alfred spielen muss, und er hat mir die Rolle gegeben. Das war einer der großen Glücksmomente meines Lebens. Bei den Proben hat mich der Otto Schenk beobachtet. Kurz vor der Premiere hat er mich zu sich gerufen und mir einen Zweijahresvertrag angeboten. Das war der nächste große Glücksmoment. Seither bin ich in diesem Haus immer höher hinaufgekommen, aber nie wieder heraus.

Ihr Vorgänger, der inzwischen verstorbene Hans Gratzer, hielt sich nur ein Jahr. Haben Sie aus seinem Scheitern etwas gelernt?

Gratzer hatte es sehr schwer. Das Haus hatte große Probleme, es musste etwas Neues geschehen. Er versuchte es mit originellen Theaterstücken aus der österreichischen Theatergeschichte, die allerdings nicht sehr bedeutend waren. Es gab drei Flops hintereinander und das brachte die Josefstadt an den Rand des Ruins. Als ich das Haus übernahm, habe ich auch auf die österreichische Literatur gesetzt, aber auf neue Stücke, auf Ur- und Erstaufführungen. Ich habe mit Peter Turrinis „Mein Nestroy“ begonnen und das war gleich ein Riesenerfolg. Oder etwas bescheidener gesagt: Ich hatte schon wieder Glück.

Inzwischen haben Sie bereits sieben Programme geplant. Ergibt sich das durch Intuition oder durch eine große Strategie?

Ich bin ein ungeduldiger, aufbrausender Mensch, obwohl ich mich im Rahmen dieses Interviews bis jetzt sehr zurückgehalten habe. Aber jetzt muss ich einmal in aller Klarheit sagen, dass dieses Haus immer mit einem Vorurteil kämpfen musste, teilweise noch muss. Immer hieß es, das ist ein bürgerliches, ja reaktionäres Theater. Peymann hat vor Jahren dieses Vorurteil geschürt, indem er es ein Schnarchtheater nannte. In den letzten Jahren sind hier mehr Ur- und Erstaufführungen geplant und gespielt worden, als in jedem vergleichbaren deutschsprachigen Theater. Die Zuschreibungen vom konventionellen Haus stimmen einfach nicht, aber es ist sehr schwer den Dünkel, das Vorurteil aus der Welt zu schaffen. Ich führe österreichische Gegenwartsdramatiker und Dramatikerinnen auf, treffe mich mit englischen Autoren, damit sie hier Ur- und Erstaufführungen machen können, fliege nach New York und überrede eine weltberühmte Autorin wie Lilly Brett dazu, aus ihrem Roman „Chuzpe“ ein Theaterstück für die Kammerspiele zu machen. Diese Saison wird es sechs Ur- und Erstaufführungen geben. Wer ist hier verstaubt? Unser Theater oder das Hirn meiner Gegner?

Mit wem müssen Sie sich in der Stadt gut stellen? Wer sind Ihre Verbündeten?

Ich habe nicht nur Gegner. Die Zuschauer kommen zuhauf, das Haus ist fast immer voll. Mit betuchten Verbündeten habe ich es geschafft, dass wir die Kammerspiele in wirtschaftlich schwierigen Zeiten renovieren können. Es soll völlig umgebaut werden, es soll eine Art kleineres Broadway-Theater werden. Ich bin mit der Büchse schnorren gegangen und jetzt bekommt die Stadt ein neu renoviertes Theater! Ist doch ein Glück für Wien, oder?

Eine Hauptstütze von Anfang an war Ihnen, wie gesagt, Turrini. Was macht für Sie seinen Zauber aus? Streiten Sie auch mit ihm?

Mit den Jahren streiten wir uns immer mehr. Er ist ein wilder Querkopf, ein Stier, schauen Sie doch einmal seinen mächtigen Kopf an. Ich musste ihn lange zu seiner ersten Uraufführung bei mir überreden, ich glaube, ich bin fünfmal nach Kleinriedenthal gefahren. Bei „Mein Nestroy“ haben wir wilde, nicht endende Debatten geführt. Wir sind ja beide theatralische Überzeugungstäter, also ringen wir um jeden Satz, um jede Szene. Aber Reibung erzeugt Wärme und wir sind, trotz voller Lautstärke, echte Freunde geworden. Er ist an diesem Haus mein erster Dichter. Jedes Jahr mache ich ein Stück von ihm, die Liebeserklärung eines Theatermenschen an einen anderen.

Jetzt bringen Sie ein neues Stück von Daniel Kehlmann. Wie haben Sie ihn überredet?

„Mentor“ ist ein herrliches Vier-Personen-Stück. Und ich bin wirklich glücklich, dass es an unserem Theater herauskommt. Da gibt es noch einen Aspekt: Daniel Kehlmanns Vater war designierter Direktor der Josefstadt und ist es dann nicht geworden. Wahrscheinlich war es eines jener Spiele, wie sie in dieser Stadt ständig vorkommen, nämlich ein übles. Daniel hat seinen Vater sehr geliebt. Es ist auch eine kleine Genugtuung, dass sein Stück gerade hier herauskommt. Ich möchte ihn weiter ans Haus binden.

Haben Sie gewusst, was für eine Arbeit als Theaterdirektor auf Sie zukommt?

Wenn ich es gewusst hätte, wäre ich vielleicht doch lieber Papst geworden. Ich habe gedacht, ich sitze mit zwei, drei Dramaturgen im Kämmerlein und wir weben feinsinnig am Spielplan. In Wahrheit ist man als Direktor für alles verantwortlich, selbst für eine misslungene Pizza in der Kantine. Ich muss gefühlvolle Liebesszenen inszenieren, eine halbe Stunde später knallhart mit der Baupolizei verhandeln. Ich muss Schauspieler davon überzeugen, dass Stücke nicht nur aus Hauptrollen bestehen. Ich bin die Klagemauer und manchmal sogar der Feind, wenn sich Schauspieler nicht genug gefördert fühlen. Ich würde gerne alle glücklich machen, aber ich kann es nicht, ich muss auch Menschen enttäuschen. Das macht mich manchmal unglücklich.

Was machen Sie, wenn Sie kein Theater machen? Was sind Ihre Fluchten?

Meine Familie rettet mich. Am schönsten ist es, wenn wir miteinander weit weg von Wien sind. In Wien entkomme ich dem Theater nicht, nicht den bösen Blicken und nicht den ständigen Erwartungen. Auf den Malediven beruhige ich mich dann langsam.


1. . . ob Sie Streit, sei er nun konstruktiv oder unumgänglich, genießen können?
Den Streit genieße ich nicht, die leidenschaftliche Debatte schon. Ein Streitender will recht haben, ein Debattierer überzeugen.


2. . . ob Sie beim Verhandeln gerne pokern? Und wann wissen Sie, dass Sie gewonnen haben?
Ich bin kein Pokerer. Ich sage, was ich begehre und freue mich, wenn ich es bekomme.

3... ob Sie schon einmal beim Zuschauen einer Theateraufführung eingeschlafen sind?
Ja. Und dies passierte noch dazu im Theater in der Josefstadt. Neben mir saß Maria Köstlinger und hat mich immer gestoßen. Ich schäme mich bis heute. Es wäre mir viel lieber gewesen, wenn ich in einem anderen Theater eingeschlafen wäre.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2012)

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