Kabarett Simpl: Traditionsgelächter

Seit einem Jahrhundert ist der Simpl die Bühne des Wiener Kabaretts. Albert Schmidleitner und Ines Hengl-Pirker im Gespräch.

TIPP

Was bringt eine junge, moderne Frau dazu, in so einem altmodischen Etablissement wie dem Kabarett Simpl aufzutreten? „Bloß, weil der Simpl 100 Jahre alt ist, heißt es nicht, dass das, was hier passiert, altmodisch ist“, antwortet Ines Hengl-Pirker, 31. Sie ist heuer der Neuzugang im Ensemble, andere wie Bernhard Murg sind seit über 15 Jahren dabei. Das Revue-Kabarett ist in Österreich einzigartig, der Simpl eine Institution, die seit 100 Jahren durchgehend bespielt wird. Sogar als die Räumlichkeiten im Zweiten Weltkrieg als Unterschlupf und Suppenküche dienten, wurde hier abends Kabarett gespielt. Am 25. Oktober 1912 wurde das „Bierkabarett Simplicissimus“ eröffnet. Die Konsumation stand im Vordergrund, die Bespaßung sollte die Gäste nicht vom Essen und Trinken ablenken.

„Auch bei den Schauspielern stand lange Zeit die Konsumation im Vordergrund“, scherzt Albert Schmidleitner, der bereits seit 36 Jahren Teil der Simpl-Geschichte ist. Anfangs als Kulissenschieber, 1993 übergab ihm Martin Flossmann die Führung des Hauses, zeitgleich wurde Michael Niavarani (damals 25 Jahre alt) künstlerischer Leiter. Bis heute schreiben sie gemeinsam die Sketches „wie ein altes Ehepaar“. Über die Ess- und Trinkgewohnheiten der Schauspieler könnte Schmidleitner viele Geschichten erzählen, doch die Zeiten, als der eine oder die andere betrunken ins Publikum plumpste, hat nicht einmal er mehr miterlebt. „Meine erste Erinnerung an den Simpl ist über das Fernsehen. Und an die Schlagzeile vom Tod von Karl Farkas 1971 kann ich mich gut erinnern.“ Auch Ines Hengl-Pirker, die in Stockerau aufwuchs, erinnert sich gut an die Fernsehshows des Kabarett Simpl. Als sie nach Wien zog, lernte sie über Kollegen ihrer Musical-Ausbildung („Performing Arts“) schnell die Faszination des Hauses kennen. „Heutzutage sind die Leute besser ausgebildet als früher“, sagt Schmidleitner: „Dafür gab es früher mehr Möglichkeiten im Entertainmentbereich, wo man spielen konnte.“

Beiträge wie auf YouTube. Hengl-Pirker genießt es jedenfalls, ihre Tanz- und Singkünste erstmals auf einer Kabarettbühne zu beweisen: „Der Simpl ist nicht altmodisch, weil die Nummern aktuellen Bezug zu Gesellschaft und Politikern nehmen“, sagt sie. Schmidleitner konkretisiert: „Ich bin schon vor 30 Jahren gefragt worden, ob die Revue veraltet ist. Dabei ist es heutzutage, da sich die Leute nur mehr online einzelne Beiträge der Nachrichten anschauen und auf YouTube zappen, sehr modern, dass wir Fünf-Minuten-Beiträge spielen statt eines ganzen Stücks.“ Außerdem hat das Tempo der Nummern zugenommen im Vergleich zu Farkas’ Zeiten. Doch moderne Techniken wie Videozuspielungen haben hier keinen Platz. „Das war in den 1970ern spannend, da wurde es im Simpl gemacht. Aber heute zahlt keiner Eintritt fürs Kabarett, wenn er dort wieder vor einem Bildschirm sitzt wie zu Hause“, so Schmidleitner. Überhaupt sei das Publikum des Simpl „unerbittlich“. Denn durch die Kontinuität (jeden Herbst eine neue Revue) denkt das Stammpublikum – jährlich bis zu 90.000 Besucher –, es hätte hier was mitzureden. „Wenn einer um 20:10 auf die Uhr schaut und er hat noch kein einziges Mal gelacht, dann will er sein Geld zurück“, scherzt Schmidleitner.

Die Einstiegsnummer der aktuellen Show lässt 100 Jahre Simpl „Revue passieren“, wobei in jedem Jahrzehnt derselbe Witz als Highlight hervorgehoben wird – anfangs mit Kaiser Franz Joseph, am Schluss mit Faymann als Ziel des Schmähs. Da drängt sich die Frage auf, ob man noch an der Tradition festhält, Witze von Vorgängern „auszuleihen“ – das Zerwürfnis zwischen Hugo Wiener und Karl Farkas, der von Ersterem abschrieb, ist weitum bekannt. „In der Simpl-Geschichte ist noch nie so wenig abgeschrieben worden wie seit dem Nia und mir“, sagt Schmidleitner stolz. Und erzählt, dass einem auch im deutschen Fernsehen oft Sketches von Comedians sehr bekannt vorkommen und man nicht genau weiß, ob sie nicht aus der eigenen Feder stammen.

„Farkas-Weiber“. Und noch etwas hat sich seit Farkas geändert: Die Damen, die früher als „Aufputz“ in den Revues auftraten, wurden in jener Zeit noch als „Farkas-Weiber“ tituliert. Schmidleitner erzählt, dass „die immer gut unter die Haube gekommen sind“. Schließlich ging, wer was gelten wollte, in den Simpl. Und manch elitärer Zuschauer entdeckte nicht nur junge Talente, sondern auch die Frau fürs Leben auf der Bühne. Darüber kann Hengl-Pirker nur lachen und verwehrt sich gegen den Ausdruck „Aufputz“: „Ich reagiere allergisch, wenn in Kritiken nur steht, wie lange Beine ich habe. Das Tolle hier ist, dass man Mut zur Hässlichkeit haben muss, und ich auch anders punkten kann als über mein Aussehen.“ Trotzdem würde sie sich wünschen, dass sich die Rolle der Frau im Kabarett noch stärker entwickelt und das Publikum mehr den Inhalt und weniger das Äußerliche bewertet. Schmidleitner meint dazu desillusionierend: „Es scheint, dass sich die Leute, sowohl Männer wie Frauen, lieber von einem Mann etwas sagen lassen als von einer Frau. Das ist bei den Nachrichtensprechern so – und im Kabarett auch.“

„Zum Lachen in den Keller – 100 Jahre Simpl“, Julia Sobieszek, 312 Seiten, 22,95 Euro.

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