Elfriede Jelinek zerlegt das modische München

Elfriede Jelinek zerlegt modische
Elfriede Jelinek zerlegt modische(c) APA/M�NCHNER KAMMERSPIELE/JULIAN (M�NCHNER KAMMERSPIELE/JULIAN R�D)
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Johan Simons inszeniert in den Münchner Kammerspielen "Die Straße. Die Stadt. Der Überfall". Nach wortgewaltig-griffigem Beginn wird die Aufführung am Ende aber amorph. Sie kann leider nicht aufhören.

An ein Stadion erinnert das Set für Elfriede Jelineks neues Stück, das von Johan Simons am Samstag in München uraufgeführt wurde: Auch hinter dem Spielfeld ist eine Zuschauertribüne. Wie ein Brennpunkt für ein Sportspektakel oder für eine Parade liegt dieses Bühnenbild für „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall.“ da, das aus einem umfassten Stiegenabgang in der Mitte und einer Glasfront mit Kabinen für fünf Musiker auf der rechten Seite besteht.

Die schwarze Fläche ist mit Eissäcken vollgestellt. Bühnenarbeiter reißen sie auf, verteilen das Eis, bis es die Arena bedeckt. Fünf Musiker treten auf. Nach und nach folgen die Schauspieler, eine grell verkleidete Parade, die in drei Stunden auslebt, was die Nobelpreisträgerin an Talmi und elendem Chic in der Maximilianstraße aufgeklaubt hat. Zur Würze wird der Mord an Modegeck Rudolph Moshammer beigemengt. In ironischer Selbstbezichtigung breitet der Text dann noch genüsslich die Dialektik von Klassenkampf und Kleiderfetisch aus.

Knackiges Eis, hässliche Pfützen

Der Beginn verspricht viel. Die Pointen dieser bizarren Figuren, die Satzpirouetten Jelineks sind frisch und knackig wie das Eis, auf dem die Protagonisten hochhackig herumtänzeln. Aber wie das eben geht mit der verfluchten Zeit: Schon vor der Pause nach zwei Stunden beginnt das Eis zu schmelzen, zur Kälte gesellt sich die Nässe. Nach der Pause entstehen hässliche Pfützen, ehe die Aufführung den Bach runtergeht. Simons hat das eiskalte Stück, das so fantastisch surreal und wortreich begann, zu Tode inszeniert. Die Ideen gehen aus beim lauwarmen Requiem für „Mosi“, der (vorerst verschleiert) als untote Salomé zurückkehrt in seine geliebte Straße mit ihren feschen Buben, um Straße und Stadt schließlich mitzunehmen in die Gruft, aus der alle hochgestiegen waren: „Da ist nichts. Da ist nichts mehr.“

Beginnen wir aber am Anfang: Als Jelinek das künstliche Paradies schuf, war die Maximilianstraße wüst und leer. Musik setzte ein am ersten Tag. Und Jelinek sprach: „Wir haben ein Gesetz!“ Es gebe jetzt eine Satzung, dass man Orgien feiern muss. Wer sagt das? Stephan Bissmeier als Venus im Pelz ohne Hosen tänzelt hochhackig auf die Bühne, gefolgt von Hans Kremer im Zwangsmiederhöschen, mit Designertasche, auf Pumps und sonst gar nichts. Dieses minimale Outfit enthüllt beängstigend, was für ein Jahrmarkt der Eitelkeit eine derartige Modestraße ist. Sogleich beginnt ein transiger Zickenstreit über Täschchen, Jäckchen, Schühchen.

Wehmut setzt ein: Wo früher ein Italiener war, bei dem man gerne einkehrte, sitzt jetzt Gucci. Schon stürmt eine weitere Tunte rauf, Steven Scharf im goldschimmernden Kleid. „Ich bin wie Pentheus“, behauptet er. Die drei machen Witzchen über haltlose Weiber beim Schoppen. München lacht, bis ganz oben auf den Tribünen, über Wortspiele, dass alles raus muss, dass geschleudert wird noch ehe produziert ist. Schon ist der Nächste dran beim Catwalk: Maximilian Simonischek im kurzen roten Kleid mit blonder Perücke, gefolgt von Marc Benjamin im gleichen Outfit. Jetzt wird es reflexiv, es geht ums Dichten, den Werkauftrag an eine alte Frau. Leicht aber nicht seicht soll die Textur sein: „Hoffentlich kriege ich das hin!“ Aber es wird ein Theaterstück, „das natürlich wieder keines ist“. Am bissigsten scheint Frau Jelinek, wenn es gegen das Eigene geht.

So weit erfüllen Stück und Inszenierung die Erwartungen, vor allem, weil nun der Glanzpunkt kommt: Sandra Hüller stolpert rauf, die einzige Frau der Sieben. Erst sieht man sie gar nicht, sie kauert unter einem riesigen weißen Shopping Bag, der mit einem goldenen Wappen verziert ist. Wie eine blonde Göttin entsteigt sie ihm, knirscht übers Eis und beginnt ein fantastisches Stakkato von Plattheiten. Oh Sandra Hüller! Wie begeistert hängen wir an Ihren Lippen, wenn Sie beiläufig Sätze heraussprudeln wie „Für das Sein habe ich keine Zeit“, oder wenn Sie gar noch singen, über die Schönheit, die Privatheit, den Dom! Wissen Sie es schon? Man kann Ihren Namen auch mit Vorsilbe lesen: Als Ver-Hüller, wenn Sie Ihren eben erworbenen kurzen Rock preisen, als Ent-Hüller, wenn Sie das Stück, das eben noch ein geiles Teil war, achtlos abstreifen.

„Die Straße ist ein einziger Irrtum“

Solche Szenen machen das Wesen dieser Sprache aus, sind Bloßstellungen, Entblößungen. Dieses unreflektierte Plappern, sind das nicht wir alle? Es müsste jetzt nicht einmal mehr gesagt werden: „Die Straße ist ein einziger Irrtum.“ Sogar Jelinek gesteht später offenbar eigene Irrtümer ein. Wenn erzählt wird, wie eine Frau einst zu einer Veranstaltung der KPÖ im Chanel-Fetzen ging, wenn über Echtheit und Fälschungen räsoniert wird, erinnert diese „bestangezogene Staatsfeindin“ frappant an die Autorin: „Da habe ich leider aufs falsche Pferd gesetzt“, heißt es lakonisch. Die Erkenntnis nach dieser persönlichen Modenschau: Ein berühmtes Kostüm sei sinnlos, wenn alle es tragen können.

Der Wahnsinn zieht sich nun, wenn es um Innenstadt-Interna geht, in den Überfall. Verfall deutet sich bereits an, als sich die Männer Hosen anziehen, in Fracks flüchten. Herr Scharf setzt als personifizierte Straße sogar einen Zylinder auf. Noch ist Benny Claessens, der unter den Musikern zu singen beginnt, über die Stadt und über die Dörfer, mit einem schwarz schimmernden Oberteil verhüllt, noch sieht man nicht, dass die Maske ihm ein Gesicht und eine Frisur verpasst hat, die Moshammer drastisch vortäuscht. „Es kann ja nicht rückgängig gemacht werden“, jammert der Zombie. Er reißt sich das falsche Gesicht vom Gesicht. Im Finale wird dieser Corpus mortui ex machina einen Egotrip zelebrieren, der bald ermüdet. Der Abend will einfach nicht aufhören. Weiter wird Jagd auf Schuhe von Jimmy Choo gemacht, aber die Gags wirken bereits abgetragen. Es wird wieder mythisch, biblisch, kritisch. Wann steigen der Mosi und seine Straßen-Gang endlich in die Gruft hinab? Wir stimmen ihm schließlich zu, wenn er seufzt: „Meine Mama, meine Gebieterin, wer kann das nachvollziehen?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2012)

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