Spielerisch tänzelnd gibt Otto Schenk das Alter

FOTOPROBE 'CHUZPE' IN DEN KAMMERSPIELEN
FOTOPROBE 'CHUZPE' IN DEN KAMMERSPIELENAPA/HERBERT P. OCZERET
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Lily Bretts humorvoller Roman über einen starken Vater wurde in Wien von Regisseur Dieter Berner als leichte Komödie uraufgeführt. Brett gelingt es in ihrem Text, Schicksale wunderbar in Humor zu kleiden.

Einen Hauch von Broadway hat die New Yorkerin Lily Brett in die Kammerspiele gebracht. Dort wurde am Donnerstag die Dramatisierung ihres Romans „Chuzpe“ (2005) uraufgeführt. Nach der Premiere dieser geistvollen Komödie unter der Regie von Dieter Berner kann man getrost sagen: Der Schwung des Theaters in der Josefstadt wird in dieser Saison im kleinen Haus fortgesetzt. „Chuzpe“, die reizende Geschichte eines Holocaust-Überlebenden, der in hohem Alter von Australien nach New York zu seiner Tochter zieht und deren Leben ordentlich durcheinanderwirbelt, hat das Zeug, ein Hit zu werden.

87 Jahre und wie ein Jüngling fast

Das liegt vor allem an einem Publikumsliebling. Otto Schenk spielt den 87-jährigen Juden Edek, der mit zwei Polinnen in der Lower Eastside eine Existenz aufbaut und dabei seiner erfolgreichen Tochter Ruth (Sandra Cervik) beeindruckende Lektionen gibt, wie man das Leben meistert. Schenk ist jünger als die Figur, ein Jüngling im Vergleich, aber doch bereits in einem Alter, für das zweieinhalb Stunden Präsenz auf der Bühne belastend sind. Man merkt das aber nicht, jedenfalls nicht in den entscheidenden Dingen. Wer mit so viel Herz, so einmaliger Mimik, so viel Gespür für Pointen spielt, für den ist der Text eigentlich nebensächlich. Schenk tänzelt durch diesen Abend wie durch eine leichte Oper von Mozart. Mit Wehmut ahnt man – hier spielt ein ganz Großer schwerelos etwas ziemlich Schwieriges: Er gibt das Alter, das Ende – und trotzdem das Leben.

Um sich darin zu behaupten, braucht man, was der Titel des Romans, diese Hommage von Brett an ihren Vater, im englischen Original verspricht: „You Gotta Have Balls.“ Edek ist nicht damit zufrieden, seinen Lebensabend geruhsam bei seiner Tochter zu verbringen. Er nimmt sich, von ihr stets finanziert, eine eigene Wohnung, er holt zwei Frauen, die er im Jahr zuvor in Auschwitz kennengelernt hatte, in die USA, mietet mit ihnen eine größere Wohnung und entwickelt einen kühnen Geschäftsplan. Er wird zum Gründer.

Die besten Meatballs der Welt

Das Trio will ein Lokal eröffnen. Ihre Spezialität: die besten Meatballs der Welt, die Zofia zubereitet, während sich ihre Freundin und Edek um den Rest kümmern. Die dralle, grell gekleidete Zofia, eine Frau in reifen Jahren, von Grazyna Dylag herrlich gespielt, ist inzwischen längst die Geliebte des alten Herren, wie dessen Tochter entsetzt bemerkt. Sie traut den Frauen nicht, der Sache nicht, sie fürchtet um ihren Vater. Cervik spielt gegen ihren Typ diese komplexbeladene New Yorkerin als reines Nervenbündel voller Neurosen, wie es sich für die Übertreibung in Komödien gehört. Sie hat den Großteil des Textes zu bewältigen, auch als Erzählerin, und macht das auch mühelos. Vor allem im Spiel mit dem Vater ist sie zuweilen rührend. Aber in der Situationskomik lebt sie sich gar zu sehr aus. Ruth beichtet der Freundin, sie telefoniert misstrauisch mit ihrem Mann, einem Maler, der für ein halbes Jahr für einen Auftrag in Australien ist. Immer ist Krise! Garth (Herbert Föttinger, mürrisch und müde) wird so wie die Kinder der beiden nur in Filmsequenzen gezeigt, die Telefongespräche symbolisieren. Auch Edek wird zuweilen in diesem Stil eingeblendet. Der Kunstgriff macht Tempo und wirkt auch noch gut. Schenks Miene in Großaufnahme – ein Roman!

Brett gelingt es in ihrem Text, Schicksale wunderbar in Humor zu kleiden. In der Dramatisierung von Eva Demsky wie auch durch diese Regie wird dabei das Seichte betont. Mit viel Augenaufschlag zeigt uns Cervik, dass sie dem Frieden nicht traut, während Schenk uns ungerührt zu verstehen gibt: Meine Lieben, alles wird gut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2012)

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