Ronacher: Spektakuläres „Phantom der Oper“

Phantom der Oper
Phantom der OperVBW/Moritz Schell
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Das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien feiert seinen 25.Geburtstag mit dem ebenfalls vor 25 Jahren gezeigten Webber-Musical: eine geglückte Revitalisierung.

Im Entertainment gehört Klappern zum Handwerk. Umso seltsamer mutet es an, dass die Vereinigten Bühnen Wien (VBW) eine konzertante Fassung von Andrew Lloyd Webbers „Phantom der Oper“ ankündigen: ein edles Altertum ohne Bilder. Da schläft jeder gleich ein. Die Realität schaut dann doch anders aus – wie sich seit Donnerstag im Ronacher beobachten lässt.

Als Opernkomponist wäre der mittlerweile 64-jährige Brite Webber kaum so reich geworden wie mit den von seiner Really Useful Group vermarkteten Musicals. Dass sich der Sohn eines Kirchenmusikers auf Oper versteht, ist aber beim „Phantom“ überdeutlich. Ein „Verdi'scher“ Gassenhauer jagt den anderen, umspült, überflutet von üppigem Orchesterklang. Der strömt diesmal besonders opulent: 46 Musiker spielen auf, dazu kommen 55 Sänger, insgesamt gibt es also circa 100 Mitwirkende.

Es nervt zwar mächtig, dass Wiens Musical zum Unterschied von anderen Musicals dieser Welt hoch subventioniert wird. Aber bei solchen Gelegenheiten muss man auch dankbar sein. Musicalorchester wurden stark dezimiert. Oft spielen kleine Besetzungen – oder die Musik kommt aus der Konserve. So ein riesiges Orchester erzeugt einen tollen Klang. VBW-Musikchef und Dirigent Koen Schoots hält zwar nichts von Subtilität, sorgt aber für heftige, dennoch präzise Temperamentsausbrüche. Das neue „Phantom“ ist mindestens halbszenisch angelegt. Regisseur Andreas Gergen schürt furios und auf erfreulich unpeinliche Weise die großen Emotionen, die hier verhandelt werden. Die Videos des Teams „fettFilm“ - die auch für Größen wie Stefan Herheim, Peter Konwitschny arbeiten – und Andrew Vollers Lightdesign geben der Aufführung einen wunderbaren Mystery-Charakter mit Stummfilmelementen und solchen aus alten Krimis. Nur die explodierenden Bäume auf dem Friedhof schauen lächerlich aus.

Die Sängerpartien sind sorgfältig einstudiert. Bloß die Diskrepanz zwischen der penetrant orgelnden Operndiva Carlotta (Siphiwe McKenzie) und der typischen Musicalstimme der Christine (charmant: Lisa Antoni, die im „Rudolf“ die Vetsera spielte) ist zu krass. Großartig: Christian Alexander Müller als Phantom und Oliver Arno als Raoul, der böse und der gute Junge wirken fast gleich alt. Das Fehlen der berühmten Maske beim Phantom verstärkt das allzu Menschliche dieses Rivalenkampfes.

Immergrüne Mädchenträume

Das „Phantom der Oper“ bietet eine geballte Ladung jenes Stoffes, aus dem Träume, Mädchenträume, sind, wie sie sich auch in „Bis(s)“, „Shades of Grey“ oder den „Tributen von Panem“ finden. Es ist heiter, dass trotz Emanzipation, Koedukation, Facebook, lückenloser Aufklärung der „Generation Porn“ noch immer diese altmodischen Liebesstereotypen wirken – wie 1910, als der gelernte Jurist und Journalist Gaston Leroux mit seinem Roman ins 19. Jh., tatsächlich aber ins romantische Schauerdrama (Vorsicht: Doppelgänger!) zurückblendete. Bekannte Motive sind hier verarbeitet. Im Keller der Pariser Oper haust ein geniales Monster, ein Gequälter, eine Art Elefantenmensch. Dieses „Beast“ ersetzt der „Beauty“ den verlorenen Vater, aber am Ende geht alles gut aus. Nicht wahrhaft, aber zauberhaft.

Die VBW wollen diese Art Events als Reihe „Musicals in Concert“ etablieren. Das kommt billiger als Neuproduktionen. Auch beim städtischen Musicalkonzern ist Sparen angesagt. Allzu schlimm wird es aber wohl nicht werden. Fürs Erste ist der Weg, den der neu Musicalintendant Christian Struppeck hier einschlägt – „Phantom“ ist die erste Produktion, die er verantwortet –, nicht gerade innovativ, aber ansprechend.

Der neue Intendant

Christian Struppeck, der deutsche Schauspieler, Regisseur, Autor, Produzent, der u. a. mit Gabriel Barylli das Erfolgsmusical „Ich war noch niemals in New York“ zu Udo-Jürgens-Songs schrieb, ist seit 1. Mai 2012 VBW-Musical-Intendant. Er löste Kathrin Zechner ab, die als Fernsehdirektorin zum ORF zurückkehrte. Mit „Phantom“-Regisseur Andreas Gergen hatte Struppeck eine Musical-Stoffentwicklungsfirma. Gergen ist jetzt Opernchef am Landestheater Salzburg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2012)

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