Raus aus dem Burn-out:" Die Wand" in der Burg

Dorothee Hartinger
Dorothee Hartinger(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Auf einer Seitenstiege des Theaters spielt Dorothee Hartinger die Hauptfigur aus Marlen Haushofers Roman. Ein stärkendes Ereignis.

Eines Morgens stehen in Kafkas „Prozess“ plötzlich zwei Männer da. Eines Morgens steht in Haushofers Roman „Die Wand“ plötzlich eine Wand da. Unsichtbar schließt sie von allen Seiten die Erzählerin ein, mit einem Stückchen Land mit einer Jagdhütte, Hund, Katze und Kuh. Wie diese Frau weiterlebt, erzählt sie in „Die Wand“, einem der größten Romane, die je in Österreich geschrieben wurden. Ihre Vergangenheit kümmert die Erzählerin kaum noch. Einmal nur träumt sie von einem weißen Saal, etwas wie die „Kleine Nachtmusik“ ertönt; dann verschwinden Saal und Musik, und das Gefühl eines schrecklichen Verlustes ergreift sie.

Nicht in einem Saal, sondern auf einer Stiege spielt Dorothee Hartinger im Burgtheater diese Frau. Auf einer kaum beheizten öden Seitenstiege hockt das Publikum in Winterkleidung. Christkindlmarktgeräusch dringt in die sonst nur von der Stimme der Schauspielerin durchbrochene Stille. Das stört nicht, ist wie ein Kontrapunkt, macht die Stille stiller.

Aber die protzige Stiege wünscht man sich anfangs weg. Beim Lesen von „Die Wand“ kommen die (Natur-)Bilder von selbst, bei der Verfilmung, die kürzlich in Österreich lief, wurden sie einem vorgesetzt. Hier haben sie es schwer, man will die Augen zumachen, aber dann sieht man die Schauspielerin nicht spielen... Haushofers Romanheldin flieht vor der Überforderung, so aktuell deutete Hartinger in einem Interview dieses Schicksal. Die Schauspielerin hat den Text aus Romanpassagen zusammengesetzt, sie spielt konzentriert, innig verhalten. Bis allein durch ihr Spiel langsam das Wunder geschieht: Die Stiege verblasst, man driftet in eine elementare Welt. „Etwas Neues wartete hinter den Dingen“, so erlebt es die Erzählerin; und so erleben es im besten Fall die Zuschauer.

Dieses Neue ist nicht neu, nur vergessen. Erdäpfel müssen geerntet, ein Kalb zur Welt gebracht werden, Kätzchen sterben, der Duft reifer Himbeeren betört. Die Arbeit ist hart, der Schlaf manchmal gut.

Tötender Mann

Irgendwann lebt die Frau nur noch im Hier und Jetzt, im Wechsel von „Geburt, Tod, Jahreszeiten, Wachstum und Verfall“, in der Sorge für die ihr anvertrauten Tiere. Sie glaubt, der menschlichen (männlichen?) Zerstörungskraft entkommen zu sein, die vielleicht auch die „Wand“ geschaffen und das Leben dahinter ausgelöscht hat. Bis ein Mensch, ein Mann, auftaucht. Er tötet die Kuh Bella und den Hund Luchs. Und trotzdem ist es noch nicht zu Ende: „Alles geht weiter.“

Den Reichtum des Romans kann der Abend natürlich nicht einfangen. Aber die fragile und doch so zähe Hauptfigur wird sehr lebendig – und noch stärker, als sie erfunden wurde. Haushofer ließ sie hoffnungslos ins Leere schreiben, hier spricht sie zum Publikum. Und hat sie jemals so viel gelächelt?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2012)

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