Theater: Defizitäres Drama über Räuber und Rentner

FOTOPROBE: 'RAEUBER.SCHULDENGENITAL' IM AKADEMIETHEATER
FOTOPROBE: 'RAEUBER.SCHULDENGENITAL' IM AKADEMIETHEATERAPA/HANS KLAUS TECHT
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Die Uraufführung von Ewald Palmetshofers „räuber.schuldengenital“ lässt ratlos: Regisseur Stephan Kimmig überfrachtet die gestelzten Verse mit Bildern. Auch diese aber wirken am Ende oft ermüdend.

Der Anfang ist das Beste: Über die Bühne des Akademietheaters, wo am Donnerstag die Uraufführung von Ewald Palmetshofers Auftragswerk „räuber.schuldengenital“ gegeben wurde, ziehen vier Charakterköpfe einen Servierwagen mit Cocktailgläsern, Flaschen und Dekorationen aus Pappe. Man scheint zu feiern. Die Szene mit Barbara Petritsch und Martin Schwab als altem Ehepaar (Linde und Otto) sowie Therese Affolter und Michael König als altem Liebespaar (Edith und Sepp) ist von Regisseur Stephan Kimmig perfekt abgestimmt. Sie reden minutenlang über Sein und Zeit und Tod, während sie mit dem Wagen von links nach rechts wandern, um schließlich abzugehen. Die Sprache, die ihnen Palmetshofer in den Mund legt, ist poetisch, philosophisch, es wird sogar fast diskret die vierte Wand durchstoßen. Alles sieht nach Gelingen aus. Ein tolles Bild, und mit den Worten jonglieren die Darsteller auch wirklich gut. Noch spielt sich diese mythische Szene an der Rampe ab, ehe die Bühne (Oliver Helf) ins Oben und ins vermüllte Unten, ins platte Vordergründige und dunkle Hintergründige geteilt wird.

Aber leider: Nach dem Besten kommt zwar immer noch einiges Gutes, doch die Kraft des gebundenen Textes lässt nach, die Regie flüchtet sich in exzessive Manöver zur Ablenkung davon, dass die Verse bald schon plätschern, die Kalauer schmerzen, die ganze Sache ermüdet. Nach zwei Stunden intensiven Spiels unter üppigem Einsatz von Bühneneffekten bleibt ein höchst zwiespältiger Eindruck. Hier wird ein Stück präsentiert, das den Generationenkonflikt laut Brief des Autors an den Regisseur im Programmheft so zusammenfasst: Die Alten haben gut gelebt und Schulden gemacht, den Jungen bleibt nichts mehr an Hoffnung. Da werden sie eben gewalttätig. Kann es sein, dass dieses Räuberdrama so subtil ist, dass es seine Kernaussage durch sich selbst bestätigt? Früher war also alles besser, als Elfriede Jelinek noch Sozialkritik und Thomas Bernhard bitterböse Satire auf die Bühne brachte? Heute gibt es nur noch Nachklang, matten Glanz?

Kannibalisches Kind

Was funktioniert hier also nicht? Das ist schwer festzumachen, denn auch die jungen Burgschauspieler beherrschen wie die älteren ein grandioses Repertoire an Ausdruck, sogar Outrieren und bloßes Herumstehen gehören dazu. Christoph Luser (Franz) und Philipp Hauß (Karl) sind ein prächtiges Brüderpaar, das zeitgemäßes Elend im Prekariat zeigt. Sarah Viktoria Frick (Petra) ist (besonders in Video-Nahaufnahme) eine unheimliche Nachbarstochter, die von der Pflegerin ihrer lahmen Mutter Edith zur Furie und Spießgesellin der jungen Räuber wird. Wenn sie mit vor Schreck geweiteten Augen von einem kannibalischen Kind erzählt, hat das einen starken Effekt. Im Einzelnen erzielt viel von diesem wilden Expressionismus und Symbolismus seine Wirkung. Die Weltenbrände und die Bestien des Waldes, die per Projektion in Nachtsicht breit eingeblendet oder mit Hirschkostümen figuriert werden, schauen zuweilen sogar beeindruckend aus, aber das Gesamte, das ganze mit Bedeutung und Bildern überfrachtete Kunstwerk wirkt dann doch – ziemlich ratlos.

Vielleicht war aber auch diese Ziellosigkeit gezielt inszeniert. Denn erzählt wird, dass die Jungen (Stricher mit Neigung zum Oralverkehr, Clochard mit Hang zum Alkoholismus und Hauspflegerin, die von ihrer Mutter ausgesaugt wird) keine Chance haben. Die Räuber wollen ran ans Vermögen der Eltern und steigen in deren Haus ein. Dort aber gibt es kein Kapital, nur eine per Boten zugestellte Rente und einen „Schuldenberg“. Der ist tatsächlich „genitalisiert“, schlenkert groß in Gummiform an der Unterhose von Otto herum, wenn sich Linde nicht gerade zum Abbau des erigierten Bergs auf ihn raufsetzt. Man ahnt es: Auch bei diesen Rentnern gibt es nicht viel zu holen. Im Kühlschrank haben sie nur sauer gewordene Milch und Wursträder mit bereits aufgebogenen Rändern. Die stärksten Merkmale der Eltern: Misstrauen und Geilheit.

Beträchtliche Samenspende

So viel Elend macht rabiat. Es ist also nicht zu viel verraten, wenn man feststellt, dass sich zum Gummiberg auch noch eine beträchtliche Samenspende gesellt, dass vor dem Weltenbrand noch einige hübsch ritualisierte Morde geschehen. Jetzt kennt Kimmig, dieser fantasievolle Schöpfer visionärer Gewalt, in seiner Regie kein Halten mehr. Die Musik ist längst romantisch, die Sprache trippelt der hohen Vorgabe hinterher. In diesem Stück, das just am Vorabend des Ablaufs des Maya-Kalenders uraufgeführt wurde, gibt es nur trübe Zukunft. Sie wird abgefackelt. Wie aber kommen künftige Regisseure mit dem wuchernden Stück zurecht? Mit Brandrodung? Es wäre doch viel eher ein kräftiges Beackern anzuraten.

Theologe, Philosoph, Dramatiker

Ewald Palmetshofer wurde 1978 in Linz geboren, er wuchs im Mühlviertel auf, studierte dann fürs Lehramt in Wien: Theologie, Philosophie, Psychologie. Die Liste seiner Dramen: „sauschneidn. ein mütterspiel“, „wohnen. unter glas“, „hamlet ist tot. keine schwerkraft“, „helden“, „faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“, „Körpergewicht 17%“, „tier. man wird doch bitte unterschicht“. Termine für die „räuber“: 22. und 30. Dezember; 5., 16. und 22. Jänner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2012)

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