Burgtheater: Bernhard schneidet noch immer tief

„Der Ignorant und der Wahnsinnige“
„Der Ignorant und der Wahnsinnige“(c) Dapd (Ronald Zak)
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„Der Ignorant und der Wahnsinnige“ fesselt auch noch nach vierzig Jahren. Regisseur Bosse und ein erstklassiges Ensemble beleben diesen Klassiker.

Thomas Bernhard hatte einen angenehmen Bass. Als junger Mann nahm er in Salzburg Gesangsstunden. Einmal sang er 1950 dem damals berühmten Dirigenten Josef Krips vor. Dessen Urteil war vernichtend. Laut Bernhard empfahl er ihm, lieber Fleischer zu werden. Das saß. Gott sei Dank! Bernhard wurde kein zweitklassiger Sänger, sondern ein erstklassiger, weltberühmter Schriftsteller, aber die Zurückweisung hat er noch zwei Jahrzehnte später thematisiert, im ersten seiner großen Dramen, das bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde: Dort sagt die Hauptfigur, ein Arzt, der angeblich eine schöne Bassstimme hat, ein Verehrer der Königin der Nacht, dass der Dirigent bei ihrer „Zauberflöte“ wie ein Fleischhauer agiere.

Verletzungen gab es auch 1972: „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ wurde in Salzburg mit Claus Peymann zum Skandal, weil die Behörden untersagten, dass bei der Aufführung am Ende zwei Minuten „absolute Finsternis“ herrschte. Peymann bestand darauf, dass auch das Notlicht gelöscht werde. Das ging aber nicht. Daraufhin sagte er nach der Premiere alle weiteren Vorstellungen ab. Bernhard war solidarisch mit dem Regisseur und telegrafierte: „Eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus.“

Viel Gespür für die Musikalität des Textes

Im Wiener Burgtheater hat man das Drama, das die Kunst und ihr Scheitern in artifizieller Vollendung seziert, soeben zum Jahreswechsel erstmals aufgeführt, in prominenter Besetzung. Wie hat sich dieses Stück, das zum Großteil aus Monologen des Doktors besteht, gehalten? Es ist noch immer großartig, wenn es so intensiv wie hier gespielt wird. Jan Bosse hat mit viel Gespür für Bernhards Musikalität inszeniert. Souverän gibt Joachim Meyerhoff den Arzt, kunstvoll zurückhaltend und doch stark präsent ergänzt ihn Peter Simonischek als Schnaps trinkender Vater der Sängerin, die von Sunnyi Melles herrlich überspannt gespielt wird. Stefan Wieland gewinnt der assistierenden Doppelrolle als Garderobiere und Kellner sinnvoll Bizarres ab – kurz, dieser Abend ist diesem Quartett und der Regie gelungen. Sie haben einen Klassiker erfolgreich belebt.

Simonischek tritt anfangs vorsichtig auf die Bühne, schwarz gekleidet, dunkle Brille, weiße Schuhe. Er hat eine fast volle Flasche und einen Blindenstock in der Hand. Das Bühnenbild von Stéphane Laimé zeigt die Garderobe der Sängerin. Ihr Schminktisch hat riesige Spiegel, links hängen Mengen an Pelzen, rechts Perücken. Der Vater setzt sich rechts in ein Sofa. Sein Part: Er wird oftmals Phrasen aus dem Wortschwall des Arztes, der gleich nach ihm auftritt, wie zur Bestätigung wiederholen, meist aber vor sich hin brüten. Dieses Echo des Vaters aber gibt den Kaskaden des Arztes Struktur. Um den Wortschwall zu dirigieren, schlägt er immer wieder mit dem Stock auf den Tisch, nimmt immer wieder Züge aus der Flasche.

Die beiden Herren warten auf die Sängerin, die immer im letzten Augenblick kommt. Wie ein Raubtier streicht der streng gekleidete Doktor über die Bühne, streift sehnsüchtig über die Pelze, setzt sich zum Vater, spielt mit dessen Trunksucht. Die ganze Zeit aber doziert er in rasendem Tempo, sein Monolog handelt vom Sezieren und von der Kunst, eine Sektion des künstlerischen Menschen, eine Elegie auf die Hinfälligkeit, eine Litanei versagender Organe. Um dieses Stakkato effektvoll darzubieten, braucht es Wachheit und Intelligenz und Geschmeidigkeit im Ausdruck. Meyerhoff hat all das im Übermaß. Es ist schmerz- und lustvoll, ihm bei dieser Vorführung der Conditio humana zuzusehen – und vor allem auch zuzuhören. Er setzt die Pointen genau, Simonischek harmoniert dabei wunderbar.

Gerade dann, als die Spannung unerträglich wird, stelzt Frau Vargo daher und bereitet die Garderobe für die Königin der Nacht vor, die an diesem Abend zum 222. Mal diese Vorstellung gibt. Gerade dann, als das Orchester im Hintergrund längst spielt und man die Hoffnung auf den rechtzeitigen Auftritt der weltbesten Sängerin aufgeben will, erscheint diese. Ja, Melles ist tatsächlich eine Erscheinung und jeden Zoll eine Königin, schon hinter der Bühne. Die Rolle, die das Verletzliche, Überspannte und Tragische einschließt, passt ihr perfekt, sie trifft Bernhards Ton, spielt, mühelos diese Koloratur-Maschine, die natürlich selbst mitten im Triumph immer ans Scheitern denkt.

Totale Finsternis – bis auf das Notlicht

Versagen und Abhängigkeit bestimmen wie ein dunkler Epilog auch den zweiten Akt. Die weiß geschminkte, schwarz-silberne Königin ist spektakulär an Seilen himmelwärts entschwebt, das Bild dreht sich, die kleine Gesellschaft nimmt an einem Tisch des Nobelrestaurants „Drei Husaren“ Platz. Melles sinkt auf ihren Sessel hernieder. Sie essen Beef Tatar, trinken reichlich Champagner, das unterstreicht die barbarischen anatomischen Ausführungen und die zwanghafte Erotik. Die Sängerin, von hartnäckig bösem Husten befallen, entschließt sich spontan zu Absagen, Kellner Winter exekutiert sie beflissen. Hoffnungslos die Liebe, ein einziges Trauma die Kunst. Nur der Alkohol tröstet und hilft. Dann wird es nach knapp zwei Stunden endlich finster. Fast. Auch im Burgtheater kommt man nicht ohne Notlicht aus.

Termine: 3./5./26. 1. (19.30h), 8. (20 h)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2013)

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