Josefstadt: Sex, Drugs und Frank Sinatra

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„Speed“ von Zach Helm, ein Zeitstück mit Tiefgang: Sandra Cervik und Raphael von Bargen sind ein überaus berührendes Paar, leidenschaftlich und chaotisch.

„Ich kaufe, also bin ich.“ „Geld kreiert Geschmack.“ „Schütz mich vor dem, was ich will.“ Das sind Sprüche der US-Künstlerinnen Barbara Kruger und Jenny Holzer, die sich in groß angelegten öffentlichen Inszenierungen mit Konsumismus und Werbung auseinandersetzen. Mit den Mitteln von Konsumismus und Werbung: Slogans, Binsenweisheiten, Aphorismen, Projektionen. Der Mensch ist umzingelt von Sprechblasen, vorgefertigten Wahrheiten und Werten, kann sich nicht entfalten, und wer sich dagegen auflehnt, wird verrückt.

Wie Annie in Zach Helms „Speed“, seit Donnerstag im Theater in der Josefstadt zu sehen. Annie hat alles, was sich die durchschnittliche Hausfrau, die in Wahrheit oft eine „Desperate Housewife“ ist, erträumen kann: Geld, schicke Schuhe, ein Appartement in New York, einen jüngeren Mann.

Trotzdem steigt sie aus, schreibt einen autobiografischen Roman, vermutlich irgendetwas im weiten Feld zwischen Charlotte Roche („Feuchtgebiete“) und David Foster Wallace. Doch dann bekommt sie Angst vor dem Rummel – und schiebt das Buch ihrem Mann, einem Barkeeper, unter. Er heimst die Lorbeeren ein, während sie immer größere Mengen von Pillen einwirft.

„Speed“ ist nur auf den ersten Blick eine einfache Geschichte über Liebe und Drogensucht. Der 38-jährige Kalifornier Helm, der Drehbücher zu Filmen wie „Schräger als Fiction“ und „Mr. Magoriums Wunderladen“ – hier war er auch der Regisseur – schrieb, zeigt Anarchie, Selbsthass, Selbstzerstörung, die unter der Oberfläche der „Happy-Go-Lucky“-Gesellschaft wuchern. Helm ergreift die Partei der beiden Chaotiker Annie und Jack, die sich gegen die Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb wehren, der auch nur ein Teil der Leistungsgesellschaft ist, in der es um Erfolg und Geld geht. Annie kämpft mit Wut und Pillen, Jack mit unerschütterlicher Romantik, die man auch als Helfersyndrom betrachten könnte.

In dem Bemühen, seine Frau zu retten, treibt der Mann sie nur noch tiefer in die Verzweiflung. Sandra Cervik und Raphael von Bargen sind ein wunderbares Paar in der stimmigen Inszenierung von Stephanie Mohr, die die beiden Protagonisten ihre Emotionen derart nach außen kehren, ausleeren lässt, dass man als Besucher, was im Theater sehr selten ist, manchmal das Gefühl hat, Teil des Geschehens zu sein.

Wenn der Dealer nicht mehr klingelt

Cervik verausgabt sich als Annie total. Sie bespringt ihren Jack, macht die Partygesellschaft nieder, speziell die wirkliche brave Hausfrau Sylvia (Cornelia Köndgen), hockt wie ein nasser Vogel auf der Wendeltreppe und fällt schließlich völlig ins sich zusammen, als Jack ihrem Dealer 50.000 Dollar zahlt, damit dieser ihr nichts mehr liefert. Bühnenbildnerin Miriam Busch präsentiert für dieses Intellektuellendrama in New York eine quasi skelettierte Metropole, künstlich, lichtlos mit Menschen, die in Boxen eingesperrt sind und sich in der Not aufs Wolkenkratzerdach retten, wo sie verzweifelt ins Schwarze starren: runterspringen oder nicht, das ist hier die Frage. An der meist atemberaubend atmosphärisch dichten Aufführung hat Wolfgang Schlögl (I-Wolf, Sofa Surfers) wesentlichen Anteil – mit seiner Collage aus psychedelisch anmutenden Tönen, Geräuschen und Schlagern (Sinatras „New York, New York“). Pop ist im Theater längst mehr als Begleitmusik. „Speed“ ist eine Art traurige Pop-Ballade – und eine Satire auf den Literaturbetrieb.

Kleinverleger Charlie (Peter Scholz) hofft mit Jack, der vermeintlich idealen Kombination aus umgänglichem Kumpel und extremem Schreiber, die große Cashcow an Land gezogen zu haben – die er zum Höchstpreis an den Großverleger Stuart (Christian Futterknecht) verhökern kann. Stuart hat zwar das Buch nicht gelesen, wohl aber die hymnische Rezension in der „New York Times“. Kritiker Mulholland (Dominic Oley), ein schlauer Wendehals, der gerade noch behauptet hat, dass Frauen nicht über Männer schreiben können, wittert eine neue Chance: Er wird die wahre Autorin des Buches entdecken. Aber Annie hat keine Lust.

Die Josefstadt wächst mit dieser Produktion über sich hinaus und stürzt sich wagemutig in existenzielle Abgründe, die auch dem Bürgertum nicht fremd sein dürften. Freilich: Wie das Abonnement-Publikum diese inhaltlich melancholische und sprachlich brachiale Aufführung  aufnehmen wird? Nach der Pause blieben einige Plätze leer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2013)

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