Halbe Wiederbelebung der "Marquise von O."

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Im Wiener Akademietheater inszenierte Yannis Houvardas Ferdinand Bruckners Stück - ein achtbarer Versuch.

Heinrich von Kleists Novelle „Die Marquise von O.“ (1808), die mit der Vergewaltigung einer Ohnmächtigen durch einen russischen Offizier in Italien um 1800 beginnt, ist hochdramatisch. Die Adelige wird schwanger, und da sie den Verursacher nicht kennt, macht sie per Annonce bekannt, „dass sie, ohne ihr Wissen, in andre Umstände gekommen sei, dass der Vater zu dem Kinde, das sie gebären würde, sich melden solle“. Aus diesen Umständen entwickelt Kleist eine raffinierte Geschichte.

Ferdinand Bruckner verlegte die Handlung für seine freie Adaption nach Preußen während der Napoleonischen Kriege. Das Schauspiel wurde 1933 uraufgeführt, kurz vor Bruckners Flucht vor den Nazis (ursprünglich hieß der 1891 in Sofia geborene, 1958 in Berlin gestorbene Schriftsteller und Theaterleiter Theodor Tagger). Sein Stück wirkt weniger dramatisch als das Original, vor allem, wenn es im dritten Akt allzu sehr ins Erklärende abgleitet und viele Passagen nicht die Dichte der Kleist'schen Sprache haben.

Yannis Houvardas (*1950), seit 2007 künstlerischer Leiter des griechischen Nationaltheaters, hat sich bei seinem Debüt im Akademietheater dennoch an Bruckners 80 Jahre alte „Marquise von O.“ gewagt und mit einem tragisch gestimmten Ensemble sowie einer in ihrer Herbheit rührenden Hauptfigur durch Subtilität eine achtbare Interpretation geliefert. Bei der Inszenierung schimmert unter Bruckners Mittelmäßigkeit (im Vergleich zu Kleist) einiges von der Unbedingtheit des Klassikers durch. Das rettete die mit eindreiviertel Stunden ohnehin knapp gehaltene Aufführung, die am Freitag Premiere hatte. Bevor die heute bizarr wirkende Geschichte samt spätexpressionistischer Verbrämung fad zu werden droht, ist sie aus.

Verräterische Lücken. Das Stück beginnt so wie die Novelle mit einer angeblichen Rettung. Ein Hauptmann im Sold Napoleons (Oliver Masucci) hat die junge Marquise (Dorothee Hartinger) vor marodierenden Soldaten in Sicherheit gebracht, in ein Wohnzimmer oben in ihrem Haus. Bei Kleist steht: „Hier – traf er, da bald darauf ihre erschrockenen Frauen erschienen, Anstalten, einen Arzt zu rufen...“ Der Gedankenstrich im Text ist verräterisch, er markiert den Punkt der Schwängerung. Bei Houvardas spielt sich diese Leerstelle so ab: Auf der (von Johannes Schütz) kühn und klar gestalteten Bühne, die diagonal in den Zuschauerraum ragt, wird ein großes Haus angedeutet. Halb transparent vermutet man hinter dem Wohnzimmer im Vordergrund ein Schlafzimmer, ein Musikzimmer, ein Treppenhaus. Im zentralen Raum aber herrscht Unordnung, wie nach einem Kampf: Sessel sind umgeworfen worden, ein Teppich ist aufgeschlagen. Dort liegt die Marquise regungslos, über ihr der Offizier, er stopft sich sein Hemd in die Hose. Schläft sie? Der Hauptmann spricht sie an, küsst sie, schon ruft die besorgte Mutter (Andrea Clausen) aus dem Off nach ihrer Julia. Die Räume sind, wie gesagt, halb transparent. Es kann also leicht sein, dass die Handelnden mehr wissen, als sie vorgeben.


Beethoven als Protest. Von Beginn an herrscht Misstrauen in den Dialogen. Anfangs wirken sie nicht ganz mühelos, fast stockend, aber im Laufe des Abends schafft es das Ensemble, ein dichtes Beziehungsdrama zu flechten. Wie im Verhör prüft der Offizier, was die Mutter gesehen haben könnte. Clausen gibt die Geige spielende Mutter, die Beethoven dem Eroberer entgegenhält, entrückt. Zum Protest erklingt immer wieder Kammermusik (Claus Riedl), wie eine künstliche Variation zur seltsamen Tochter wirkt diese Frau. Hartinger hingegen verkörpert die Marquise als eine verwirrende Mischung von Verträumtheit, Zartheit und Stärke – das ist ein Kunststück. Sogar so etwas wie Liebe kommt auf im Verhältnis zum Hauptmann, dem Masucci eine reizvolle Ambivalenz von Brutalität und Verliebtheit gibt. In letzter Konsequenz wird er abgewiesen, diese noch junge Frau durchschaut die Verhältnisse genau.

Dietmar König versteht es diskret, den verliebten Gutsherren, der um die Marquise wirbt, als harmlosen Kontrapunkt zu setzen. Ganz anders ist die Rolle des Vaters angelegt. Peter Simonischek deutet all das Elend des Krieges, die Trauer einer untergehenden Klasse an. Man sollte sich nicht täuschen lassen, dass es nur Melancholie sei, wenn dieser Herr vom Haus spricht. Zur Verteidigung seiner Größe mangelt es ihm nicht an Brutalität. Simonischek macht das glaubhaft, so wie auch das Verschrobene dieses Preußen. Er hat Präsenz, besonders in der desillusionierenden Auseinandersetzung mit der Tochter. Im Zusammenspiel mit Hartinger zeigt sich, zu welcher Intensität diese Schauspieler fähig sind. Da ist die sonst brave Wiederbelebung des Bruckner-Stücks ganz gelungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2013)

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