Hier sieht die Vergangenheit alt aus

Hier sieht Vergangenheit
Hier sieht Vergangenheit(c) Barbara Palffy
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Anna Maria Krassnigg zeigt in der Expedithalle der Ankerbrotfabrik die Dramatisierung von Robert Neumanns Roman "Die Kinder von Wien": Enttäuschend.

„Die Autobiografie ist ein Fetzenteppich, des Lebens und Überlebens – und das wirkt auf manche, als wäre das eine Botschaft der Zuversicht“, schrieb Robert Neumann 1968 in „Vielleicht das Heitere“, im Tagebuch aus einem andern Jahr und etwas später notiert er: „Die Vorgänge dieser Gegenwart sind so viel stiller geworden, dass es aus der Vergangenheit immer lauter herüberhallt.“

Der Ton dieses Halls indes hat sich verändert – und auch die Rezeption. „Wozu schaust du dir immer diese Kriegsdokus an?“, sagt das Kind: „Das ist doch bloß deprimierend.“ Die Distanz der jüngeren Generation zum Zweiten Weltkrieg ist gewachsen, die künstlerische Verarbeitung („Inglorious Basterds“) kühner geworden. Vor diesem Hintergrund wirkt die Festwochen-Produktion „Die Kinder von Wien“ altertümlich. Dabei ist der Stoff des Romans von Robert Neumann (1897–1975), Wiener, Emigrant, Schriftsteller, vor allem für seine köstlichen Literaturparodien berühmt, überaus spannend und ergäbe einen wunderbaren Film auf den Spuren des „Dritten Manns“: Im Winter 1945/1946 schrieb Neumann sein Buch, um die Siegermächte des II. Weltkriegs daran zu erinnern, dass in den Trümmern auch Unschuldige lebten. Unschuldig? Ja und nein. Die Kellerkinder tragen schwer an der Last ihrer Zeit. Großartige Typen lässt Neumann sprachspielerisch, lautmalerisch aufeinander prallen.

Tolle Typen, schwache Mimen

In jede Figur packt er mehrere Aspekte: KZ-Erfahrung, Verstümmelung, Hunger, Ruhr, Prostitution, Schieberei, Schwarzmarkt, plötzlich wollen alle nur Opfer gewesen sein. Ein schwarzer US-Militärseelsorger erscheint als „Heiland“, wird als „Nigger“ bestaunt, umarmt. Doch dieser Erlöser erreicht nichts, weder materiell noch spirituell. Er verstrickt sich in den Schlingen der Gemeinschaft, die nur eins eint, die Wut über das verlorene Leben. Krassnigg arbeitet mit einem Design, das an Grottenbahn und andere „Haunted Mansions“ erinnert. Die meisten Schauspieler sind eher schwach. Von einer Professorin am Reinhardt-Seminar wie Krassnigg dürfte man bessere Kräfte erwarten. Immerhin ist der schwierige Text ordentlich einstudiert. Unterschiedliche Idiome, Bonmots erfreuen. David Wurawa ist als Reverend Smith außerordentlich authentisch, der Kontrast zu den platten Schießbudenfiguren der Erwachsenen umso auffälliger.

Ein Kind ist auf dem Programmfolder abgebildet. Es wäre gescheiter gewesen, wenn Jugendliche auch gespielt hätten – denn um sie geht es. Speziell im Vergleich zu den vielen Aufarbeitungen der Nazi-Zeit schaut die jüngere Vergangenheit hier schmerzhaft alt aus.

Die Performance läuft bis 31. 5. in der ehemaligen Ankerbrotfabrik. Ab 12. 6. gibt es Diskurs darüber in Krassniggs Salon 5.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2013)

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