Theater in Salzburg: Wurms wogende "Wortskulptur"

Theater Salzburg Wurms wogende
Theater Salzburg Wurms wogende(c) APA/NEUMAYR/PROBST (NEUMAYR/PROBST)
  • Drucken

Die eineinhalb Stunden lange Tirade, die von Spitzen des Burgtheaters vorgetragen wurde, hinterließ beim Publikum vor allem Ratlosigkeit.

Ratlose Gesichter, mildes Lächeln, freundlicher Applaus. Was ist passiert am Donnerstagabend in Salzburg? Wo einer von Österreichs gewichtigsten Künstlern in Österreichs gewichtigster Galeriehalle von den gewichtigsten Theaterleuten des Landes vor mehr oder weniger gewichtigem Publikum vorführen ließ, wie lächerlich und sinnlos alles doch sei. Der ganze aufgeblähte Kunst-, Medien- und am Ende auch Theaterbetrieb. In über eineinhalb Stunden wurde ein tiradenhafter Text Erwin Wurms, eine Art innerer Monolog, der auf langen Flugreisen entstanden ist, vorgetragen, auf einer von Wurm gestalteten Bühne in der Mitte der Ausstellungshalle seines Galeristen Thaddaeus Ropac, von den Burgtheater-Schauspielern Nicholas Ofczarek, Oliver Masucci und Anna Hofmann. Als Dramaturg fungierte Burg-Direktor Matthias Hartmann.

Ziel der aufwendigen Versuchsanordnung, in die auch das im Kreis sitzende Publikum einbezogen wurde, war es, wie im ganzen Werk Wurms, die Grenzen dessen auszuloten, was Skulptur heute sein kann. Eine „Wortskulptur“ sollte entstehen, die am Ende mehr Fragen der Form aufwarf als des Inhalts, der schon durch im „Spiegel“ veröffentlichte Zitate für Aufregung gesorgt hatte. Und ja, Wurm beschreibt sein eigenes Milieu knallhart, die Angst des Künstlers vor dem Mittelmaß, vor den „lauwarmen Arbeiten“, das elitäre Gehabe von Künstlern gegenüber dem Rest der Welt – „Warum diese Besserfühlerei?“ –, die Hypertrophie von Kunststudierenden, die lächerlich wirkenden Künstler-Rankings, die sich wohl oft real auf das Sozialverhalten von Sammlern und Künstlern untereinander etc. auswirken.

Der Maler Herbert Brandl muss als Beispiel für ins absurde getriebene Meisterschaft herhalten. Der russische Oligarch Roman Abramowitsch für die vulgäre Großmannattitüde neureicher Kunstsammler. Wobei es zu einem zufälligen „Glücksgriff“ Anna Hofmanns kam, als sie, ohne es zu wissen, dem einzigen Gast im Publikum, der tatsächlichen einen Oligarchen berät, den Mund mit einem Erdäpfel „stopfte“ (Eckehard Schneider, der für den Ukrainer Victor Pinchuk arbeitet, er nahm es mit Humor).

„100 Minute Sculpture“ gegen Pathos?

Das Spiel mit Erdäpfeln, Gabeln und Gurken steht in Verbindung mit Wurms bekannten „One Minute Sculptures“, bei der Leute sich kurze Zeit in unmögliche Situationen bringen, in bewusster Lächerlichkeit etwa mit einem Kübel am Kopf verharren, im Kampf gegen das Pathos der Skulptur. So kann man Wurms „Wortskulptur“ als eine „100-Minute-Sculpture“ sehen, die laut über sich selbst und die Gesellschaft nachdenkt, die der Österreicher, die laut Wurm wie die Künstler dauernd anders sein wollen und sich doch nach Gleichheit sehnen.

Anders als Franz West, der seine Passstücke von professionellen Tänzern vorführen ließ, hat Wurm bei seinen „One Minute Sculptures“ bisher vor allem mit Laien gearbeitet. Warum jetzt Schauspieler, ein in der Performance-Kunst ziemlich unübliches Bekenntnis zur Künstlichkeit? Ist man seit den 1960er-Jahren doch gewohnt, dass im Rahmen der bildenden Kunst Künstlerblut zu fließen hat, nicht künstliches Blut. Wurms „Wortskulptur“ versucht auch auf dem Feld der Performance eine Neudefinition, einen Weg aus der Pathosfalle. Durch die Distanzierung von seinem eigenen Text ist ihm das auf eine spannend zu beobachtende Weise gelungen. Mit dem Nachteil, dass der Abend kippte, am Ende war es weniger eine „Wortskulptur“ als eine „Theaterplastik“, ein von Wurm, dabei sein eigenes Werk zitierend, inszeniertes Theaterstück.

Tritt man einen Schritt zurück und denkt an das Gesamte, daran, dass Wurm immer wieder mit Größe, Aufgeblasenem, „Fettem“ arbeitet – „Fat Car“, „Fat House“, in den 1990er „verfettete“ er sich selbst –, liegt eine weitere Interpretation nahe. War der schwer irritierende Abend selbst ein „Fat Showing“? Bei dem alle vorgeführt wurden? Die Kritiker, die Sammler, die Galeristen, die Künstler, die heute alle doch nur getrieben sind von dem allzu Menschlichen, nach Status vor allem? Wird Status hier zur Götzenstatue? Auch wenn ihre Jünger sie verachten? Alles ist sinnlos, sagt Erwin Wurm. Und ja, er glaube an die Macht des Zynismus. Man sollte ihn darin auch ernst nehmen.

„Das Kleine im Großen, das Große im Großen, das Große im Kleinen und das Kleine im Kleinen“, 27., 28.Juli, je 19 h, Halle der Galerie Ropac, office@ropac.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Salzburger-Festspiele

Festspiele: Jose Antonio Abreus Rede im Wortlaut

Mit dieser Rede eröffnete der 74-jährige Politiker, Ökonom und Musiker am Freitag die Salzburger Festspiele.
Klassik

Ein Plädoyer für musikalische Erziehung – nicht nur in Südamerika

Salzburger Festspiele. Das Teresa Carreño Youth Orchestra machte seiner Namenspatronin alle Ehre und erntete damit Jubelstürme.
Klassik

Eröffnung: Abreu ruft Festspiele auf, dauerhaft zu helfen

Der Gründervater des venezolanischen Musikprogramms schlägt vor, die Festspiele sollen mit der Unesco die Verbreitung von El Sistema vorantreiben.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.