Salzburger Festspiele: Schneewittchen zieht das Schwert

Salzburger Festspiele Schneewittchen zieht
Salzburger Festspiele Schneewittchen zieht(c) Salzburger Festspiele / Wolfgang Kirchner
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Nicolas Liautard entzückt mit seiner Inszenierung des Märchens der Brüder Grimm. Die böse Königin scheint dem Expressionismus entsprungen zu sein.

Die Zwerge in Nicolas Liautards Inszenierung des „Schneewittchens“ nach dem Grimm'schen Märchen klingen fast wie der Roboter R2-D2 in der Weltraum-Saga „Star Wars“, und sie bewegen sich auch so wie putzige kleine Maschinen. Ihr Murmeln ist der einzige menschenähnliche Laut. Sonst wird wortlos agiert. In der knapp einstündigen Aufführung dieses Gastspiels von La Nouvelle Compagnie bei den Salzburger Festspielen erfüllt das Kollektiv der hilfsbereiten Zwerge allerdings nur eine bescheidene Nebenrolle. Liautard fokussiert das Drama auf die Auseinandersetzung der bösen Stiefmutter mit ihrer blutjungen Konkurrentin, die sie mit allen Mitteln aus dem Weg räumen möchte.

Dieser Konflikt wird aufregend zelebriert, mit tollen Bildern, unheimlichen Schatten und intensiver Musik. Nicht nur für die vielen Kinder bei der Premiere am Donnerstag im Salzburger Landestheater war die kleine Horror-Picture-Show offensichtlich ein beklemmendes Erlebnis. Die Inszenierung jongliert gekonnt mit Archetypen der Angst, wie in einem guten Thriller.
Schon der Beginn betont das Unheimliche. Drei Leuchter hoch oben an der Decke: Eine rot gewandete Königin sitzt in einem fast dunklen Raum auf einem Stuhl, sie stickt und sticht sich in den Finger, saugt das Blut weg. So rot wird einmal der Mund ihrer Tochter Schneewittchen sein.  Es schneit. So weiß wird ihre Haut sein. Die Schwangere schiebt einen Vorhang auseinander, der die Bühne teilt, und geht nach hinten, ins Graue, Nebelige. Dort, hinter dem Vorhang, sieht man fast realistisch die Geburt, bei der die Mutter stirbt. Und schon erscheint nach dem Begräbnis die neue Königin, ganz in Schwarz. Flugs ist daraufhin Schneewittchen ein blühendes Mädchen, das neckisch und leichtfüßig dahintänzelt.

Ein Ziegenbock als Opfertier

Der Spiegel offenbart: Dieses Mädchen ist die Schönste. Die Königin tobt. Der Jäger, ganz in Weiß, soll die Junge auf Geheiß der bösen Königin beseitigen. Stattdessen aber jagt er einen riesigen Ziegenbock, der als Cartoon auf transparenter Leinwand galoppiert, zieht ein reales ausgestopftes Tier über die Bühne und entnimmt ihm Innereien. Die werden von der Stiefmutter wirkungsvoll in einer weißen Schüssel verschlungen.

Schneewittchen aber ist inzwischen bei den Zwerg-Robotern angekommen, macht ihre Bettchen, isst und trinkt aus Puppengeschirr. Vier echte Vögel fliegen auf die Äste eines kahlen Baums. Ein zerbrechliches Idyll. Auf Knien rutscht das Mädchen mehrmals ins Häuschen der Zwerge, kommt nur heraus, um von der als alte Frau verkleideten Konkurrentin fast zu Tode geschnürt und, als das nichts geholfen hat, durch einen imposanten roten Apfel als Geschenk fast tödlich vergiftet zu werden. Das Schockierende an dieser Gestalt: Sie hat das Gesicht verhüllt, zeigt es immer erst danach, für einen kurzen Moment. Mit großer Geste vollführt die Hexen-Königin wie ein expressionistischer Star der Stummfilmzeit ihre Untaten, während Schneewittchen die Angriffe fast teilnahmslos erleidet. Sie liegt im Sarg, da erscheint der Prinz mit hochragendem Schwert und einem echten Pferd an der Leine. Jetzt wird geküsst und geherzt, dann wird umstandslos die Stiefmutter von Schneewittchen abgestochen. Das Mädchen scheint doch praktisch veranlagt zu sein.

Einfach wie ein Märchen ist dieses Spiel gebaut, voller Farbsymbolik und auch voller Dunkelheit. Es gelingt den Darstellern und der Regie, das Abgründige dieser Geschichte deutlich zu machen. Nein, diese seltsame Familienaufstellung, die sich auch in die Schattenwelt wagt, ist nicht nur zum Erschrecken von Kindern gedacht. Sie geht zu Herzen. Nicht nur dann, wenn der weiße Jäger durch die dunkle Nacht streift.

Termine: 17. und 18. August, 17 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2013)

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