Burgtheater: Nestroy zwischen Zeitgeist und Popkultur

Burgtheater Nestroy zwischen Zeitgeist
Burgtheater Nestroy zwischen Zeitgeist(c) APA
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Matthias Hartmanns opulente "Lumpazivagabundus"-Inszenierung ist aus Salzburg im Burgtheater eingetroffen: Ein amüsantes Spektakel mit toller Musik und drei markanten Protagonisten.

Bei Nestroys „Lumpazivagabundus“, der Geschichte dreier Handwerksburschen, die in der Lotterie gewinnen – bereits zu Lebzeiten des Dichters eines seiner erfolgreichsten Stücke – scheiden sich die Geister. Regisseure können es schwer allen recht machen, weil zumindest in Wien viele dieses Werk schon sehr oft gesehen haben: Heinz Petters als Knieriem, Karl Markovics als Zwirn und erst die Muliars und Hörbigers! Ach ja, das waren noch Zeiten! Zu viel Ernst wirkt fad, zu viel farbenfroher Klamauk nervt noch mehr.

Matthias Hartmann hat die Satire bunt bemalt und heuer in Salzburg reichlich Schelte von der Kritik abbekommen. Sein Nestroy ist dennoch erfreulich eigenständig, weit weg von alt-wienerischem Kitsch, Achim Bennings frostigen Kreationen, aber auch ohne Regietheatergags. Die Aufführung wirkt seriös, humorvoll aus der Geschichte, dem Stück, der Historie heraus entwickelt und aktualisiert. Zu sehen ist eine Gesellschaft, die Winner und Loser erbarmungslos entzweite. Eine dumme Comedy ist das nicht. Der Aufführung fehlt die Lockerheit, mit der Lokalmatadore Nestroys Paraderollen aus dem Ärmel schüttelten. Aus dem Handgelenk agiert teilweise auch Hartmann.


Flucht durch die Rigipswand. Das ist im Prinzip gut, stört aber auch manchmal, denn es fehlt Stringenz. Manche Szenen wirken hohl. Manche Späße zünden überhaupt nicht: etwa im zweiten Teil, wenn Tischler Hobelmann den zwei Falotten, Knieriem und Zwirn, die ihr gesamtes Geld verjuxt haben, den fingierten Klagebrief von ihrem Kameraden Leim vorliest. Durchdacht ist dieses Spektakel aber allemal, und es wirkt in drei Stunden kaum langweilig oder staubig. Besonders erfreulich sind der wilde Disco-Start mit Stroboskopgeflimmer und der Schluss, wenn die zwei Lumpen, Knieriem und Zwirn, aus einem Puppenhaus herausschauen wie auf den alten Fotos, auf denen die Leute durch Löcher aus einer mit Kostümen bemalten Wand in die Kamera sahen; sie wollten nobel, nicht realistisch aussehen. Wunderbar ist auch die Szene, in der der stockbesoffene Knieriem, von Leim eingesperrt, die Rigipswand zerschlägt und dahinter das Wirtshaus erscheint, in dem „Sierra Madre“ gegrölt wird. Da ersteht in wenigen Strichen eine ganze Kultur schlichter, ja auch billiger Unterhaltung von Ferienklubs am Meer bis zum Musikantenstadel. Karsten Riedels Musikmix aus rauem Punk, Balladen und Volksmusik ist erneut großartig gelungen. Aus Adolf Müllers Leierkasten zaubert Riedel ein wahres Feuerwerk schriller und schräger Töne, das biedermeierliche Original mischt er fröhlich und sarkastisch auf. Phänomenal ist der Knieriem von Nicholas Ofczarek: die Studie eines Alkoholikers, ein delirierender Träumer – und dabei auch noch komisch. Etwas fremd wirkt der Zwirn von Michael Maertens mit seinem manierierten Meckern. So scharf ins Widerwärtige zugespitzt war dieser Hallodri noch nie zu sehen. Florian Teichtmeister macht aus dem netten Leim einen gnadenlosen Gutmenschen. Originell: der spastische Lumpazi (Max Mayer), der seinen Teufelshuf in Damenschuhen verbirgt. Maria Happel hatte als Fee Fortuna, eine Angela-Merkel-Parodie, viele Lacher auf ihrer Seite. Auch Mavie Hörbiger ist witzig als Amorosa, eine schlaue, schicke Tussi, und als schäumende Braut, die den falschen Ehemann erwischt hat, den weniger reichen.

In dieser Szene, als Leim nach seinem Lotteriegewinn heimkehrt und glaubt, seine geliebte Peppi habe den Gastwirt Strudl geheiratet und diesen wortgewaltig wegen seiner Leibesfülle beleidigt, wird der Altwiener Nestroy auf das Schönste persifliert: Hermann Scheidleder als Strudl gefällt dank sparsam dosierter Komik. Auch Branko Samarovski ist in seinen diversen Rollen goldrichtig. Dieser Nestroy zwischen Zeitgeist und Popkultur ist nicht rundum gelungen, aber etwas Neues.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2013)

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