Sätze im Galopp bei René Pollesch

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Ein Abfangjäger landet im Akademietheater. Das Stück "Cavalcade or Being a holy motor" wird auch wegen Minichmayr, Wuttke und Kirchner zur spektakulären Show.

Im dichten Verkehr von Manhattan landet röhrend und rauchend ein Militär-Jet, ein Saab-Draken fast in Originalgröße, aus Sperrholz allerdings. Die vorderen Sitzreihen im Akademietheater scheinen leicht zu vibrieren, so wie tausende bunte kleine Plastikbälle auch in einer tiefen, breiten Wanne, die Parkett und Bühne trennt. Was für ein turbulenter Start ist diese Landung zu ein bisschen fetziger Rockmusik!

Kaum hat man sich bei der Uraufführung von René Polleschs Stück „Cavalcade or Being a holy motor“ am Mittwoch im Wiener Akademietheater an das Bühnenbild (Bert Neumann) mit Wolkenkratzern und viel Verkehr gewöhnt, verschwindet die Szenerie hinter einem Vorhang glitzernder Fäden. Die Bühne ist bereit für den ersten Showauftritt von Martin Wuttke und Ignaz Kirchner – der eine in Schwarz mit beige bestickter Jacke, der andere im Anzug aus roter Seide. Hurtig spult Wuttke den ersten Monolog als David runter, balanciert perfekt zwischen Memorieren und scheinbarem Nachdenken, vollführt Sprachartistik im Galopp. Kirchner hört ihm so aufmerksam zu, wie das nur Kirchner kann. Es geht in den Satzmustern – anscheinend wirr, eigentlich hoch poetisch – um Traumdeutung, Witz, Unbewusstes. Und eine Schauspielerin, die zu spät kommt.

Alles Theater: „Gefühle sind draußen“

Und schon platzt sie rein, Birgit Minichmayr als Silvia im hellen Kleid, spielt das eben Gesagte nach, zeigt sich, erleichtert darüber, dass die von ihr versäumte Aufführung abgesagt wurde, weil der Protagonist gestorben sei, und taucht in das Bassin mit den bunten Bällen ab. Mit rauchiger, überschlagender Stimme ist sie ein bezauberndes Echo zu Wuttkes rhetorischen Ausschweifungen, sie lässt sich ein wenig mehr Zeit, gibt ihren Sätzen aber wesentlich intensivere Tönung.

Kirchner hingegen scheint fast nachdenklich, zögernd, aber auch nur, weil man das Stakkato der beiden anderen im Ohr hat. Eigentlich ist er diesmal ebenfalls ein rasender Redner. „Gefühle sind draußen“, sagt er sehr bemüht, und damit ist die Grundsituation des Spiels ziemlich genau erfasst. Feilgeboten werden Träume und Träume über das Träumen, aber sicher nicht Realitäten. Es wird Golf gespielt, der Jet wird aus- und eingeparkt, man streitet über absurde Situationen, mit einer so starken Emphase, dass bald klar ist: Hier geht es niemals um das wirkliche Leben, sondern nur um ein bisschen Theater, das man macht, um wenigstens diesen Abend heil oder ganz zu überstehen.

Was aber handelt Pollesch ab, in diesen witzigen, gewitzten 75 Minuten, in denen Worte, Worte, Worte Beziehungen aufbauen, wieder zerstören, erneut beginnen, in denen die Darsteller unverdrossen einen Anfang suchen, wieder scheitern, immer aber schön anzusehen sind und voller Verständnis für mehr Verständnis werben? Man sollte sich von den Anspielungen auf populäre Denker wie Robert Pfaller oder Starbucks, auf Filmtitel von Frank Lloyd und Leos Carax nicht ablenken lassen – hier werben drei Personen um sich und um totale Aufmerksamkeit.

Bald landen wir auf dem Schrottplatz

Und ein Autor sucht nach Ursachen. Warum etwa wird Zwischenmenschliches vergiftet? „Toxic“ von Britney Spears ertönt, sie raunzt über Hörigkeit. So also wirkt Silvia auf David, der angeblich vor unerträglichen Wahrheiten flüchtet, sich inzwischen mit blonder Perücke wie als Frau verkleidet hat. Gegen Ende sitzen sie in Affenmasken des Begehrens auf dem Jet, nehmen sie ab, gleiten runter. Auch die Fassaden fallen nun, werden hochgezogen, immer wieder. Schließlich hört man nur noch Stimmen aus New Yorks unendlichem Verkehr. „Wir werden bald alle auf dem Schrottplatz landen“, sagt Kirchner. Die Kavalkade endet mit abgestorbenen Motoren. Aber zuvor lief es doch prächtig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2013)

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