Schauspielhaus: "Lasst alle Hoffnung fahren!"

Steffen Höld, Thiemo Strutzenberger, Barbara Horvath
Steffen Höld, Thiemo Strutzenberger, Barbara HorvathAlexi Pelekanos
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Packende Uraufführung der szenischen Fassung von Jonathan Littells Werk "Die Wohlgesinnten" über SS-Mann Max Aue. Den Roman erreicht sie nicht ganz.

Ein Slasher-Film über die NS-Zeit, eine schlechte Imitation von Genet und De Sade, befand die Rezensentin der „New York Times“, Michiko Kakutani. „Ich sehe nicht, welches andere Buch in den nächsten Jahrzehnten an seine Wirkung heranreichen könnte“, befand der Schriftsteller und Résistance-Kämpfer Jorge Semprún. Jonathan Littells Roman „Die Wohlgesinnten“ (2006), ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt, spaltete nicht nur die Kritik. Seit Freitag ist eine szenische Fassung des Mammutwerkes (900 Seiten auf Französisch, 1400 auf Deutsch) im Schauspielhaus Wien zu sehen.

Federico Bellini und Antonio Latella haben den Roman dramatisiert, Latella hat auch inszeniert. „Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren“, der Satz aus Dantes Inferno passt zum Buch wie zur Aufführung, er wird auch zitiert wie vieles andere. Littell folgt in der Form einer barocken Tanzsuite, tatsächlich ist der Text aber auch ein chaotischer innerer Monolog.

Die Orestie spielt eine Rolle, reale und fiktive Personen treten auf, sogar Adolf Hitler, den der Protagonist in die Nase beißt, was keineswegs lustig gemeint ist. „Die Wohlgesinnten“ (nach den Eumeniden benannt) sind keine Satire à la „Mein Führer“ (Film von Dani Levy). Sie schaffen, auch auf Leser aus den Ländern der Sieger des Zweiten Weltkriegs zugeschnitten, eine Loslösung des Themas von einem deutsch-jüdischen Konflikt – wie Littell auch im Programmheft ausführt: „Kinder, Enkel sollen sich fragen: Was hätte ich gemacht?“ Die Bearbeiter erzählen die wesentlichen Stationen des Buches: den Werdegang des Protagonisten Maximilian Aue, seine Liebe zu seiner Schwester, seine Homosexualität, seine SS-Karriere, die Beziehung dieses Fausts zu seinem Mephisto, Thomas, Inspektionsfahrten an die Ostfront bis Stalingrad, nach Auschwitz, Mord der Mutter, des Stiefvaters von Aue...

Grenzerfahrung mit tollen Mimen

Thiemo Strutzenberger als Max ist großartig, wird aber übertroffen von Steffen Höld als Thomas, einem kalten Karrieristen. Was Strutzenberger dem Max abseits der Figur im Buch gewinnt, ist Wahnsinn. Im Buch wird der nicht so deutlich, weil Max es ist, der die Geschichte erzählt, man folgt ihm als Leser quasi blind. Diese gewaltigen Monologe und Gespräche einzustudieren, bewundernswert!

Barbara Horvath spielt verschiedene Rollen, vor allem aber Max' Schwester Una, die einen aristokratischen Widerstandskämpfer geheiratet hat und sich den Annäherungsversuchen ihres Bruders entzieht. In allen Figuren steckt eine große Brüchigkeit.

Weise war es, auf den Auftritt der realen Personen, von Himmler bis Speer, zu verzichten. Stattdessen fanden die Schöpfer, man darf sie durchaus so nennen, einen eigenen Weg zu dem Werk: über die Musik. Der italienische Countertenor Maurizio Rippa begleitet das Spiel mit Psychogesang – und hat seinen unheimlichsten Moment, als er leise ins Mikro zischt: Das ist das ausströmende Gas der KZ. Hintergrund der kargen Bühne ist ein Video aus dem Berliner Tiergarten, sommerliche Bäume, ein Weiher, die Löwenbrücke kontrastieren die grausige Perversion des Spiels, das aber nicht kalt oder steril wirkt. Bis an die Schmerzgrenze werden äußere Reize hochgedreht: Stimmen vom Band, Geschrei, Stroboskopgeflimmer, ein Scheinwerfer leuchtet wie eine Verhörlampe grell ins Publikum. Die Aufführung ist zum Teil schrill und anstrengend: „Ihr, die ihr hier eintretet...“ Das gilt auch für das Publikum. Eine theatralische Grenzerfahrung.

Hat sich das gelohnt? Auf jeden Fall. Inhaltlich wie stilistisch ist diese Performance, die dreieinhalb Stunden mit Pause – also im Vergleich zum Buch nicht lang – dauert, ein faszinierendes Experiment. An den Roman kommt sie aber nicht ganz heran, auch weil sich im Unterschied zum Buch, einem Universum, in das man beim Lesen eintaucht, auf der Bühne Langatmigkeit, Déjà-vus einstellen. Allerdings: Wer hält den Roman aus? Er ist nicht leicht zu ertragen in seiner deprimierenden Drastik. Littell macht die Leichenberge, die Exzesse, das Geschehen deutlicher als die meisten Filme. Er zeigt auch keine historische Epoche, sondern was sich heute ereignen könnte und auch ereignet. Der Autor hat für humanitäre Organisationen an Kriegsschauplätzen gearbeitet. Einige verließen die Aufführung in der Pause, die meisten applaudierten am Ende lange.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2013)

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