Tandz-Tandem: Horner und Kaydanovskiy

Follow me nicht auf Twitter, sondern im Leben: Rebecca Horner und Andrey Kaidanovsky.
Follow me nicht auf Twitter, sondern im Leben: Rebecca Horner und Andrey Kaidanovsky.(c) Christine Pichler
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Als Kind hat Andrey Kaydanovskiy für die Oma choreografiert, heute zeigt er auf der Volksopernbühne, wie ein hässliches Entlein seine Freunde findet.

(c) Christine Pichler

„Leave Your Ego At The Door!“ steht als Mahnung an der Tür des Balletttrainingssaals in der Volksoper. Hilfreich, denn mit dem Ego können die Tänzerinnen und Tänzer diesmal gar nichts anfangen. Müssen sie doch den Bürzel in die Höhe strecken, mit dem Köpfchen wackeln und die Flügel spreizen. Die Erpel führen sich auf, wie sich eben Männchen aufführen, balgen sich um die Schönste, die zupft sie frech an den Federn und überrollt den Obererpel.
Da fährt dann der Hahn dazwischen, und der Truthahn will auch dabei sein. Nur ein Entlein darf nicht mitspielen. Es ist nicht wie die anderen. Die sagen, es sei hässlich, und wollen es verstoßen. Das hässliche Entlein, wie es Andersen in seinem berühmten Märchen beschrieben hat, tanzt in der Choreografie von Andrey Kaydanovskiy inmitten einer bunt gemischten Tierschar im neuen Programm  „Märchenwelt Ballett“ in der Volksoper zur Musik von Mussorgski. Zusätzlich sind Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht (Musik: Rimski-Korsakow), choreografiert von Ballettmeisterin Vesna Orlic, zu sehen.
Bei der frühen Probe geht es noch sehr lustig zu. Der Hahn kräht, die Enten kichern und tuscheln. Noch muss ausprobiert werden, ob dem Körper gelingt, was im Kopf des Choreografen entstanden und im Notizbuch mithilfe kleiner tanzender Männchen aufgezeichnet worden ist.

Inspiration am Teich. Schon als Kind hat Kaydanovskiy zu Hause in Moskau Andersens Märchen gelesen und war fasziniert. Als er dann die Orchesterfassung Maurice Ravels von Mussorgskis Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ gehört hat, wusste er, wie er die Geschichte vom Außenseiter, der schließlich doch eine ihn akzeptierende Gemeinschaft findet, auf die Bühne bringen und so erzählen kann, dass sie Kinder und Erwachsene fesselt. Die Biografen wissen: Auch Andersen fühlte sich als Außenseiter. Ein Gefühl, das dem jungen Staatsoperntänzer und bereits erfolgreichen Choreografen, Andrey Kaydanovskiy, eher fremd ist. Als Vater einer quicklebendigen Tochter lebt er ein normales Halbe-halbe-Leben mit der Volksoperntänzerin Rebecca Horner. Nach der Probe holt er die kleine Ruby vom Kindergarten ab, geht mit ihr in den Park, um am Teich die Bewegungen der Entenschar zu studieren, oder auf den Spielplatz. Genau wie die Mutter. Doch im neuen Ballett vom „Hässlichen Entlein“ muss sie nach seiner Pfeife tanzen und mit dem Entenpopo wackeln, wie ihre Kolleginnen und Kollegen vom Ballettensemble an der Volksoper auch. „Aber die Tiere watscheln nicht die ganze Zeit.“ Kinder werden die Geschichte, hofft Kaydanovskiy, anders interpretieren als Erwachsene, doch von beiden wird Imagination und Fantasie verlangt. „Das Bühnenbild ist abstrakt, ich will gar nicht alles zeigen, aber die Kostüme, die sind witzig, der Truthahn, auf den freue  ich mich schon, ist eine echte Überraschung.“ Überraschungen wird es viele geben, denn Kaydanovskiy hat im Sinne des musikalischen Ablaufs die Struktur etwas verändert, das Personal erweitert.

Als Sohn einer Balletttänzerin und Choreografin hat ihn Musik und Tanz von der Wiege an begleitet. Bevor er mit zehn Jahren in die Bolschoi-Ballettakademie aufgenommen wurde, hat er Geige und Klavier gelernt und sich bald auch mit dem Ausdenken von Vorführungen beschäftigt: „Das war die Oma, die hat mich angetrieben. ‚Kannst du nicht choreografieren?‘“ Mit dem Selbstbewusstsein der Jugend war Andrey sicher: „Ich kann alles!“ Und tat es auch.   Seit damals trägt er die tänzerische Umsetzung des Andersen-Märchens im Kopf:  „Ich habe da nicht mehr viel ändern müssen.“

Mit 16 Jahren ist er ausgewandert. Zuerst landet der begabte Tänzer am Ballettkonservatorium in St. Pölten und vollendete seine Ausbildung nach einem Umweg über die John-Cranko-Ballettakademie in Stuttgart mit einem Stipendium an der Ballettschule der Wiener Staatsoper. 2007 wurde er in das Corps de Ballet der Staatsoper aufgenommen. Bald darauf stellte er seine erste eigene Choreografie vor, und dabei blieb es nicht. Mit „Dolce Vita“ gewann er bei der Veranstaltung „Junge Choreografen“ im Odeon durch Musikalität und Humor die Sympathie des Publikums und mit der im Frühjahr in der Volksoper gezeigten Uraufführung des zeitgenössischen Tanzstückes „Zeitverschwendung“ die Achtung der Kritikerinnen.

Die Frage, ob ihm das Choreografieren mehr liege als das Tanzen, beantwortet Kaydanovskiy mit Augenzwinkern: „Kommt darauf an, welche Rollen ich tanzen darf.“ Die Zuschauer wissen nicht nur seine tänzerische Begabung zu schätzen, sondern auch seine schauspielerische. Als Hexe Madge in „La Sylphide“ erntet er jedes Mal Sonderapplaus. So eine heimtückische Hexe, mit langen Spinnenfingern und verbogenem Gestell, bekommt man selten zu sehen.

In Patrick de Banas Ballett „Marie Antoinette“ tanzt er das unerbittliche Schicksal, das die Kaiserin den Kopf kostet. Ähnlich schwarz ist auch die eindrucksvolle Rolle als Alter Ego in Stephan Thoss’ „Blaubarts Geheimnis“.
Das mimische Talent hat Andrey Kaydanovskiy wohl von Vater Alexander geerbt. Der angesehene russische Schauspieler und Regisseur hat als Hauptdarsteller in Andrej Tarkowskis Kultfilm „Stalker“ auch internationale Anerkennung erfahren. Die größte Freude hat dem tanzenden Sohn jedoch die Arbeit mit seinen Lieblingschoreografen, Paul Lightfoot und Sol Leon, gemacht. Zur Einstudierung des schwierigen Pas de trois mit Damenbegleitung, „Skew-whiff“, kam das am Nederlands Dans Theater residierende Choreografenpaar eigens nach Wien und wählte selbst die Tänzer aus. „Das hat mich echt stolz gemacht.“ So ist es auch kein Problem für ihn, trotz der solistischen Aufgaben weiterhin in den Reihen des Corps de Ballet zu tanzen: „Ich brauche Herausforderungen, in-teressante Aufgaben, irgend welche Titel sind mir egal.“ Die Herausforderung als allein verantwortlicher Choreograf trägt er mit Wonne. Ist doch nicht nur die künstlerische Freiheit nahezu grenzenlos sondern auch die Befriedigung, sobald sich der Strom der Ideen konkretisiert. „Bei der Premiere ist alles schon vorbei. Der Prozess davor ist mir wichtiger als die Premiere. Wenn das, was in meinem Kopf ist, auf die Bretter kommt, da spüre ich ein Glücksgefühl.“ Ein Glücksgefühl wie bei der Geburt eines Kindes?
Kopfschütteln mit leuchtenden Augen: „Nein, ein Kind auf die Welt kommen zu sehen, das ist viel, viel schöner.“ Andrey Kaydanovskiy ist Tänzer, Choreograf – und auch Vater aus Leidenschaft.

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