Nur kein Migrantentheater: Wie Zeynep Buyraç wienert

Migrantentheater, Zeynep Buyra, Garage X
Migrantentheater, Zeynep Buyra, Garage X (c) Teresa Zötl
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In der Wiener Garage X wird das Stück „Gegen die Wand“ nach dem gleichnamigen Film wieder aufgenommen. Zeynep Buyraç spielt die Hauptrolle.

Die Lieblingsszene füllen zwei Schulterblätter. Der Mann, der auf der Bühne steht, hat dem Publikum den Rücken zugewandt und bewegt seinen Oberkörper. Auf seinem linken Schulterblatt steht A, auf seinem rechten E – und diese Szene ist für Zeynep Buyraç so aussagekräftig, dass sie tatsächlich ihre Geburtsstadt vor Augen hat. A und E, das sind Asien und Europa, und Schauplatz ist Istanbul, der brodelnde Verbindungsknoten dieser Kontinente.

Es ist eine Szene aus dem Theaterstück „Gegen die Wand“. Buyraç spielt die Hauptrolle: Sibel, eine türkischstämmige Hamburgerin, versucht, aus der strengen Umklammerung ihrer Familie auszubrechen und geht eine Scheinehe mit Cahit ein. Als Vorlage dient der gleichnamige Film des Regisseurs Fatih Akin. Aber das Theaterstück sei nicht eins zu eins mit dem Film zu vergleichen, sagt Buyraç. Wenn am Ende das Publikum feststellen kann, nicht eine Sekunde an den Film gedacht zu haben, dann war sie erfolgreich: „Ich will nicht kopieren.“

„Gegen die Wand“ wird nach einer erfolgreichen Saison in der Wiener Garage X wieder aufgenommen. Es sind weitere Abende, die Buyraç in ihrem Kalender anstreichen kann: Gerade eben hat sie die Premiere „Wetterleuchten auf der Zungenspitze“ – ebenfalls in der Garage X – hinter sich gebracht; eine Collage von zwei Josef-Winkler-Romanen, also „kein Theaterstück in dem Sinn“, wie Buyraç sagt, sondern „ein Wahnsinn, eine Herausforderung“. In anderen Worten: Die Sprache des Autors Winkler ist komplex, und obwohl die Sprache Buyraç sonst keine Schwierigkeiten bereitet, war es diesmal eben eine Herausforderung. „Ich wollte wissen, ob ich das kann. Ich wollte mir das geben.“

Ihre Muttersprache ist türkisch. Geboren in Istanbul, besuchte Buyraç dort die Deutsche Schule, ehe sie nach Wien übersiedelte und am Konservatorium Schauspiel studierte. Zweisprachigkeit ist die eine Sache, und auch den Umgang mit der deutschen Literatur habe sie bereits in der Schule gelernt, aber die Bühnensprache, die habe sie sich mühsamst aneignen müssen, sagt die Schauspielerin. Das beginnt beim „r“, das im türkischen keine so schroffe Angelegenheit ist; als Übung habe sie tagelang gegurgelt. Und es findet eine Fortsetzung mit dem Gespür für die Zeilen dazwischen, dem Erkennen der Feinheiten und Nuancen. Ergebnis dieses Eigenstudiums in einer Wiener Umgebung ist, dass Buyraç wienert wie eine Wienerin, wenn sie will. Und auf Hochdeutsch Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard zitiert, die sie zu den Besten der deutschsprachigen Literatur zählt.

Oft gebe es dann überraschte Reaktionen, sagt Buyraç. „Sie? Eine Türkin?“ Ein schmaler Grat. Einerseits sieht sie die Anerkennung dafür, dass sie auf der Bühne überzeugend genug auftritt, andererseits schwinge subtil diese Skepsis mit. Denn warum sollte die Frau, die auf der Bühne keine Türkin spielt, nicht eine Türkin sein können? Das Letzte, was Buyraç im Leben brauchen könne, sei das Migrantentheater, etwa so in seiner Quintessenz: Migranten spielen Migranten, alle haben Probleme. Marginalisieren sei kein guter, eigentlich gar kein Weg.

Ihre Engagements haben Buyraç bisher an das Landestheater Linz, das Stadttheater Klagenfurt, die Scala Wien oder in die ORF-Serie „Mein Almanca“ geführt. Vor drei Jahren trat sie mit einem österreichisch-türkischen Gemeinschaftsprojekt in Istanbul auf. Das Publikum dort sei ganz anders, erzählt sie, ein bisschen gnadenloser. Wie auch die Stadt selbst.

Wenn sie aber Heimweh habe, dann habe das vielmehr mit einer Handlung, einem Zustand zu tun: „Wenn ich zum Beispiel am Bosporus sitzen und Raki trinken will.“ Denn Heimat – so abgegriffen dieser Begriff manchmal auch klingen mag – sei kein einziger Ort, sondern der Platz, an dem sie sich sicher und wohlfühle. Das gelte für Wien, für Istanbul – und sei auch sonst auf die Welt ausdehnbar.

ZUR PERSON

Zeynep Buyraç. Die Schauspielerin wurde 1982 in Istanbul geboren. Sie besuchte die Deutsche Schule und wechselte anschließend an das Konservatorium in Wien. Buyraç ist derzeit in der Garage X (1., Petersplatz 1) als Sibel in „Gegen die Wand“ zu sehen. Gleichzeitig hat sie eine Rolle im Stück „Wetterleuchten auf der Zungenspitze“ (8.November, ebenfalls in der Garage X), das eine Collage von zwei Josef-Winkler-Romanen ist. Vor zwei Jahren erschien ihr Buch „Das Türkische Improvisationstheater im Osmanischen Reich“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2013)

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