Schauspielhaus: Die kleinen Geheimnisse des Massenmörders

(c) Alexi Pelekanos / Schauspielhaus
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Auf den Spuren von Anders Breivik – der schottische Dramatiker David Greig erkundet in „Die Ereignisse“ Täter und Opfer in einem Zweipersonenstück. Das Opfer ist interessanter als der Täter.

„Ich war müde. Ich hatte noch eine Kugel. Zu dem Zeitpunkt fand ich das Ganze – doof.“ So erklärt der Massenmörder der Chorleiterin Claire, wie er den schlimmsten Moment in ihrem Leben erlebte: Claire befand sich mit einer Choristin in einem Raum, als der Amokläufer die Türe eintrat und den beiden mitteilte, er habe nur noch eine Kugel, daher könne er nur eine von ihnen erschießen.

„Die Ereignisse“ von Daniel Greig, derzeit im Schauspielhaus zu sehen, ist ein interessantes Projekt: Eine Ko-Produktion, der Text wird in Großbritannien, Norwegen und Österreich in der jeweiligen Landessprache einstudiert, daher auch die lokalen Bezüge (Graz-Karlau, Linz, Frau Sedlaczek).

David Greig, 1969 in Edinburgh geboren, war Hausautor der Royal Shakespeare Company. Im Burg-Vestibül war „Eine Sommernacht“ von ihm und dem Musiker Gordon McIntyre (von der Indie-Rockband Ballboy) zu sehen. Auch in dem Drama „Die Ereignisse“ spielt Musik eine wichtige Rolle, bei der Vorstellung am Samstag sang und spielte der Brunnenchor. Hintergrund des Stücks sind die Ereignisse rund um Anders Breivik. Der rechtsextreme Norweger tötete im Juli 2011 in einem Ferienlager 77 Menschen, was große Diskussionen über das Böse und eine mediale Flut auslöste. Aber gibt es wirklich eine Erklärung für Amoklauf? Auch das Stück „Die Ereignisse“ kann keine zwingenden Antworten finden: Ein Mann richtet ein Blutbad in einem multikulturellen Chor an, die Leiterin kommt nicht darüber hinweg.

Franziska Hack brilliert als Claire

Für den Mörder ist die Tat die Entladung eines lang angestauten Hasses, doch schon während er „mitten im Geschehen ist“, verändert sich seine Perspektive: Vorher war alles klar, ein Berserker wollte er sein, der seinen Stamm schützt, als es dann so weit ist, ist alles keineswegs mystisch, sondern recht banal, blutig, und vor allem gibt es kein Zurück.

Florian von Manteuffel spielt diesen namenlosen Täter, ihm fehlt jede Dämonie, die aus den Bildern von Breivik im Prozess sehr wohl spricht – sofern man glaubt, dass dem Bösen das Böse anzusehen ist. Manteuffel spielt auch alle anderen Rollen im Umfeld des Mörders, den Freund, den Journalisten, den Vorsitzenden der rechtsextremen Partei.
Die Hauptperson ist Franziska Hackl als Claire, die den Schock nicht verwinden kann und Gründe finden muss oder Möglichkeiten, wie sie mit der Bedrohung anders hätte umgehen können, als sie es tat. Dabei zerstört sie beinahe ihr Leben, wird immer exzentrischer, extremer und vergibt schließlich sogar dem Mörder, ein Trick, um ihn im Gefängnis zu besuchen – und Rache zu nehmen.

Hackl ist schon vom Typ her großartig, und großartig spielt sie auch: Dieses sportliche Mädchen in Jeans, mit langen, braunen Haaren, sieht aus wie eine moderne Frau, die weiß, was sie will, und auch, wie sie es bekommt – und zwar in diesem Fall auf eine durchaus freundliche, geradezu herzliche Weise. Denn sie ist Geistliche, Chorleiterin, sie hat eine Mission, letztlich ist sie auch eine Art Fundamentalistin, unbeugsamer und hartnäckiger als ihr Kontrahent. Anders als der Mörder verliert sie keine Minute ihr Ziel aus den Augen. Hackl als Claire macht aus diesem von Ramin Gray konzentriert inszenierten Abend – eine etwas bemühte Ursachensuche nach möglichen Hintergründen der viel zitierten Banalität des Bösen – ein Faszinosum. (Vorstellungen: 26. 11., 7./8. 12; „Breiviks Erklärung“, Theaterstück, Akademie der bildenden Künste, 11. 12., 20 Uhr)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2013)

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