Mitchell: „Handke schreibt so juristisch, so scharf“

(c) Burgtheater/ Reinhard Maximilian Werner
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Katie Mitchell bringt eine Dramatisierung von „Wunschloses Unglück“ ins Burgtheater-Casino. Der „Presse“ erzählte sie, was sie an Peter Handke schätzt. Und was sie im Sommer in Salzburg zeigen wird.

Hier ist das Vorzimmer in Handkes Frankfurter Haus, hier das Bad der Mutter, ein Hotelzimmer, das Flugzeug – wo ist das Flugzeug?!“ Sprühend vor Theaterdrang führt Katie Mitchell durch das Raumlabyrinth auf der Bühne. Den Großteil davon werden die Zuseher nicht zu sehen bekommen, nur in dem während der Aufführung entstehenden Film, der auf einer riesigen Leinwand über der Bühne gezeigt wird. „Wir haben Livekameras, Live-Soundeffekte, Livestimmen aus dem Off. Die Schauspieler reden nicht, wir hören nur die Gedanken in ihren Köpfen – und der Text kommt vom Roman.“ Die Rede ist von der Produktion „Wunschloses Unglück“ nach Peter Handke, die am 9.Februar im Casino des Burgtheaters Premiere hat. Im Sommer bringen die Salzburger Festspiele dann eine Mitchell-Produktion zum Ersten Weltkrieg: Die „Presse“ wollte wissen, was diese bemerkenswerte britische Regisseurin antreibt – und was sie mit Österreich verbindet.

Die Presse: Sie haben in Oxford studiert, hat diese Zeit Ihre Theaterlust angefacht?

Katie Mitchell: Als Kind mochte ich Theater nicht so gern, ich habe mich mehr für Malerei interessiert, aber darin war ich nicht so gut. Dann begann ich mit Theater als einer Art, mit Menschen zu malen. Mir war immer unbehaglich bei traditionellen Shakespeare-Aufführungen, ich bin mehr von Malerei und Film beeinflusst, und von europäischen Theatermachern, natürlich von Pina Bausch, aber auch von Polen und Russen wie Anatoly Vasiliev oder Tadeusz Kantor. Anfangs versuchte ich, diese europäischen Traditionen mit der textzentrierten britischen zu vereinen.

In England haben Sie viele Kritiker, die finden, Sie nehmen sich zu viele Freiheiten.

Ich verstehe nicht, warum meine Landsleute so emotional auf mein Theater reagieren! Was ich bisher gemacht habe, mag nach britischen Standards sehr abnormal gewesen sein, nach österreichischen oder deutschen war es harmlos! Ich gebe ein paar Ideen dazu, kürze wenig, aber ich habe ein strenges Konzept, verlange eine bestimmte Art zu spielen, sehr leise, zart, detailliert, am Rand des Hörbaren und fast im Dunkeln.

Warum nehmen Sie sich oft Romane vor?

Weil ich dabei freier bin, ich kann mir die Szenen aussuchen, liebe das Aussuchen und Anordnen, das Zusammenfügen von Text und Bild. Es ist ein Geschenk, so schönen, komplexen Texten nahe zu sein wie bei Woolf, Mayröcker, Handke. Und manchmal kommen Romane dem, was in den Köpfen der Figuren vor sich geht näher als Dramen, sagen wir, dem Metaphysischen der Existenz.

Wie erhalten Sie dabei das Wesentliche des Ursprungstextes?

Indem ich den Text als Gedanken der Figuren präsentiere. Ich habe schon bei Mayröcker oder Virginia Woolf so gearbeitet, es gibt fast kein Reden, alles ist Denken.

Was reizt Sie speziell an Handke?

Ich habe Erzählungen wie „Die Wiederholung“ gelesen und verehre sein Schreiben, es ist so dunkel. Bei „Wunschloses Unglück“ bin ich anfangs aber einem großen Irrtum erlegen. Ich glaubte, es gehe um einen Mann, der versucht, mit dem Selbstmord seiner Mutter zurande zu kommen, darum geht es auch, aber vor allem ist es eine sehr politische Erzählung über die Nachkriegsgeneration, eine Antwort auf den Zweiten Weltkrieg. Handke schreibt so juristisch, so scharf über kleinste, auch intimste Details. Etwa wenn er beschreibt, wie die Mutter sich vor ihrem Selbstmord die Menstruationshose und noch ein paar Windeln anzieht und sich mit einem Kopftuch das Kinn zubindet. Hätte meine Mutter das gemacht, hätte ich diese Details wirklich niedergeschrieben?! Handke scheint seinen Autorenkollegen zu sagen, ich werde bis zum dunkelsten Ende gehen, um zu verstehen, was mit dieser Generation passiert ist. Beängstigend...

Sie lieben beängstigende Themen?

Metaphysisch beängstigende, ja.

Ist es für Sie schwierig, mit einem deutschen Text zu arbeiten?

Ich bin jetzt so gewöhnt an diese Sprache! Den Text lese ich nicht auf Deutsch, aber ich habe beim Arbeiten immer beide Versionen, englisch und deutsch, nebeneinander liegen. Ich habe aufgehört zu fliegen, ich muss meinen ökologischen Fußabdruck reduzieren, und jetzt fahre ich jedes Mal 16 Stunden nach Wien. Da wird mir bewusst, wie weit ich reise: Die Landschaft ändert sich, ich habe den Handke-Text vor mir liegen und nähere mich langsam, physisch und geistig. Aber wissen Sie, was das Aufregendste ist? Ich hoffe, diesmal Friederike Mayröcker zu treffen!

Von ihr haben Sie in Köln „Reise durch die Nacht“ inszeniert. Was ist mit Jelinek?

Ich würde viel Geld dafür zahlen, wenn ich etwas von ihr auf die Bühne bringen könnte!

Im Mittelpunkt Ihrer Produktion für Salzburg steht der Erste Weltkrieg...

Ich wollte etwas über den Krieg aus weiblicher Sicht machen. Dann stieß ich auf Clara Immerwahr, eine deutsch-jüdische Chemikerin. Sie war mit Fritz Haber verheiratet, der zwei Synthesen erfunden hat: Düngemittel und Chlorgas. Sie stritt mit ihm darüber. Er kam von ersten Giftgaseinsätzen zurück nach Berlin, eine Party fand statt, er war ja ein Held – und dann nahm sie seine Dienstwaffe und schoss sich zweimal ins Herz. Sie starb in den Armen ihres 13-jährigen Sohnes, am nächsten Tag reiste Haber ab und gab das Chlorgas für den Einsatz an der Ostfront frei. Nach dem Krieg bekam er für die Entwicklung von Düngemitteln den Nobelpreis. Ich versuche in Berlin für 1915 eine Aufführung zu bekommen, genau am 20.Mai, 100 Jahre nachdem sich Clara Immerwahr erschossen hat. In dem Stück wird es um den Missbrauch der Wissenschaft gehen, aber vor allem darum, eine mutige Frau zu rehabilitieren.

ZUR PERSON

Katie Mitchell wurde 1964 in England geboren, sie war Hausregisseurin am Royal Court Theatre, seit 2003 ist sie Associate Director am Royal National Theatre in London. Dort inszenierte sie u.a. „Waves“ nach Virginia Woolf, „Some Trace of her“ nach Dostojewskis „Idiot“. Als rührige Opernregisseurin war sie u. a. bei den Salzburger Festspielen 2009 mit einem Werk von Luigi Nono zu erleben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2014)

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