Feinsinn: Die Schwarm-Choreografie

(c) Christine Pichler
  • Drucken

Die Aura des reproduzierten, im virtuellen Raum entstehenden Kunstwerks interessiert Elke Pichler und Alexander Nantschev von der Gruppe Feinsinn.

Die Authentizität von Kunst wird im digitalen und medialen Zeitalter zu einem relativen Begriff. Alte Gesetze werden ungültig. Kopiert, reproduziert, gecovert, remixt – verliert Kunst ihre Aura, ihre Einmaligkeit, ihre Echtheit? Eine Frage, die sich die Künstlerinnen und Künstler von FeinSinn in ihrer neuen Performance stellen. Um es gleichvorwegzunehmen, eine Antwort gibt „[A]ura“ nicht, die muss das geneigte Publikum selbst finden, weil es auch selbst mitwirken wird –  nolens volens.

Aura – ein mehrdeutiger Begriff. Sowohl finnischer Käse wie auch griechische Göttin, neurologische Störung, Asteroid und Hundename. Das Wort klingt magisch, der Bedeutungen sind viele. Der Philosoph Walter Benjamin (1892–1940) ahnte die Problematik und urteilte noch streng: Er gestand die Aura allen Dingen zu, verurteilte den „geleckten spiritualistischen Strahlenzauber“ und bedauerte den Verfall der Aura eines Kunstwerks im „Zeitalter  seiner technischen Reproduzierbarkeit“.

20 Laien und Profis aus aller Welt. Bereits im Film und in der Fotografie – zu Benjamins Zeit noch junge Techniken, Künste –schienen ihm das Hier und Jetzt und die Einmaligkeit nicht mehr gegeben. Von den Neuen Medien, von Coverversion, Remake, Remix oder den per Mausklick im Nu kopierten Kapiteln von Doktorarbeiten hatte Benjamin, der sich mit Kant befasste, mit Brecht und Adorno befreundet war und sich auf der Flucht vor den Nationalsozialisten im spanischen Grenzort Portbou das Leben nahm, noch keine Ahnung. Die Gruppe FeinSinn denkt das vielschichtige Verhältnis zwischen Original und Kopie neu. Die Tänzerin und Choreografin Elke Pichler und der Musiker Ale­xander Nantschev, das Gründungsduo der Gruppe, wollen es wissen. Verkümmert tatsächlich die Aura eines Kunstwerks, wenn es technisch vervielfältigt wird? In der vernetzten Welt von fremden Autoren hergestellte choreografische Werke werden zuerst technisch und danach vom Körper der Tänzerin reproduziert und zu einer Performance verarbeitet. Dabei wirken Pichler und Nantschev mit ihrem Team genreübergreifend und haben keine Angst vor Literatur oder Philosophie und schon gar nicht vor den neuen Medien. Mit diesen gestalten sie eine multimediale Tanzperformance, an der auch das Publikum seinen Anteil hat.

Schon Wochen vor der Premiere sind Besucher eingeladen, sich an der Choreografie für die Solistin Elke Pichler zu beteiligen. Im Internet bietet ein eigens dafür entwickeltes Programm, der ChoreoMixer, kurze Clips mit tänzerischen Bewegungen an. Aus diesen Bewegungsschnipseln kann durch Kombination, Beschleunigung, Wiederholung oder Schnitt eine Choreografie kreiert werden. Pichler kopiert sie bei Gefallen mit ihrem Körper. „Das war gar nicht so einfach“, erzählt sie, „manche mit dem Computer geschaffenen Bewegungen waren sehr schwierig auszuführen und zu erlernen.“ Etwa 20 Laien und Profis aus aller Welt haben mit dem ChoreoMixer gearbeitet. Die Bedienung ist tatsächlich ganz leicht. Sogar ein Fünfjähriger hat einen Teil von „[A]ura“ gestaltet.

„Ich habe einem meiner Geigenschüler die Technik erklärt. Am nächsten Tag hat er uns sein Opus geliefert“, erzählt Nantschev. Er unterstützt die Tänzerin nicht nur als Komponist und Musiker auf der Bühne, sondern greift auch als Dramaturg in das entstehende Werk ein. „Wir haben Benjamin gelesen, aber uns auch mit dem generellen Begriff von Aura befasst und die Daguerreotypien und Fotos mit den Aurabildern studiert. Heute kann man damit nicht mehr Furore machen, man weiß, wie eine Doppelbelichtung entsteht, damals glaubte man tastsächlich, einen ‚Strahlenzauber‘ zu sehen.“ Mit dem Namen der Gruppe FeinSinn hat dieses Spekulieren über den sechsten Sinn jedoch nichts zu tun: „Den Namen haben wir sehr bewusst gewählt, wohl wissend, dass er nicht  hip oder cool ist. Wir wollten zeigen, dass wir nicht auf der Zeitgeistwelle schwimmen.“ Das ist auch gelungen. FeinSinn hat vor zehn Jahren mit Aufführungen für Kinder und Jugendliche begonnen: „Das hat uns Freude gemacht und war auch erfolgreich, doch bald haben wir erkannt, dass das, was wir machen, eher Erwachsenen etwas mitteilt.“ Der Erfolg blieb den Performern treu. FeinSinn steht für Nachdenklichkeit und Recherche, aber auch für Genauigkeit beim Arbeiten und vor allem für eine offene Kommunikation mit dem Publikum. Auch wenn Pichler zusätzlich Philosophie studiert hat und Nantschev als Komponist und Lehrer arbeitet, wollen sie nicht dozieren, sondern eben feinsinnig unterhalten.

„Kurz geraunzt“. Gemütliches Zurücklehnen und die [A]ura genießen, ist allerdings bei diesem Abend nicht möglich. Auch die Performance selbst ist interaktiv geplant. Die Zuschauer spielen mit, aber nicht als Säulenheilige, sondern als Peripatetiker – sie sollen umher- und herumgehen und so den Ablauf der Tanzvorstellung steuern. Willentlich oder zufällig. So wird es auch an jedem Abend eine andere Vorführung geben, je nachdem, wie sich der Schwarm bewegt. „Das wird schwierig, nicht nur für das Publikum, auch für mich ist jeder Abend eine Überraschung. Ich muss mich immer neu einstellen.“

Das Arbeiten mit dem Computer hat auch Pichlers Tanzsprache neu geordnet, digitalisiert quasi. Sie bewegt sich im binären System: 0 und 1. „Ich habe viel Geduld benötigt, um die Bewegungen zu lernen, wir haben die eingereichten Choreografien auch rückwärts laufen lassen und mussten feststellen, dass selbst der Computer seine Grenzen hat. Große Bewegungen quer durch den Raum etwa erfasst er nicht.“ Pichler gesteht, dass sie „kurz geraunzt“ hat, dann aber hat sie „in den sauren Apfel gebissen und den Widerstand gegen die neuen Kombinationen überwunden“. Dem Publikum wird der Eigensinn von FeinSinn nicht auffallen: „Es schaut simpler aus, als es ist.“ Und die Aura? Die Antwort kommt unisono: „Neu und überraschend. Eine Aura des Staunens.“

Tipp

FeinSinn. „[A]ura, interaktive Tanzperformance“ ab 13. 2., Kosmostheater Wien. Verlosung zweier Karten für die Vorstellung am 15. 2. aufSchaufenster.DiePresse.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.