Hilde Sochor: „Nestroy halte ich immer aus“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Zu ihrem 90. Geburtstag erzählt die große Schauspielerin des Volkstheaters der „Presse“, wer für sie die zwei besten Regisseure waren, warum sie die Shakespeare-Figur Falstaff liebt, den „Jedermann“ hingegen nicht mag.

Die Presse: Sie feiern demnächst ihren 90. Geburtstag, können also weit in eine ereignisreiche Zeit zurückblicken. Was waren für Sie die prägenden Erlebnisse in Ihrer Kindheit und Jugend?

Hilde Sochor: Wir waren ein Weiberhaushalt, weil meine Eltern sich scheiden ließen, als ich sechs Jahre alt war, und weil mein Großvater mit 59 gestorben war. Meine Familie war meine Großmutter, meine Mutter und meine Schwester. Noch mein Mann (Gustav Manker; Anm. d. Red.) hat dann immer vom „Weiberregiment“ gesprochen.

Wie sind Sie zum Theater gekommen?

Schon meine Mutter hat sich immer gefragt, wie das denn in mich „hineingekommen“ sei. Sie war nämlich so wie meine Großmutter völlig amusisch. Der Großvater hat mit Freunden Kammermusik gemacht, sie durften aber nicht bei uns daheim spielen. Ich habe natürlich Gedichte geschrieben, und die Paula Wessely hat mich im Film beeindruckt, aber zuerst dachte ich noch, ich werde Dichterin, nicht Schauspielerin. Der erste ganz große Eindruck war William Shakespeares „Macbeth“ im Burgtheater. Meine Mutter saß neben mir und sagte: „O Gott, o Gott, schon wieder einer tot!“ Da hätte ich sie erschlagen können.

Was war das Geheimnis der Wessely? Und hat sie heute eine Nachfolgerin?

Birgit Minichmayr. Sie hat auch so eine große Persönlichkeit. Das ist noch wichtiger als Talent, das sogenannte Charisma, von dem die Wessely so viel hatte. Und bei den Männern hat das heute der Gert Voss.

Sie haben Germanistik und Theaterwissenschaft studiert, parallel zur Schauspielprüfung. Ihre Dissertation behandelt den Einfluss des Films auf die Zeitgestaltung in der modernen Dramatik. Wie war die Beschäftigung mit moderner Literatur nach dem Krieg? Erweckend?

Ja natürlich! Zuvor hatte ich immer von Autoren wie Thomas Mann gehört, aber sie waren in der Nazi-Zeit verboten. Das war ein fremdes Land. Wie ich die „Buddenbrooks“ entdeckt habe, war das ein Meilenstein für mich. Ich kannte auch Schnitzler nicht oder Hofmannsthal. Als ich dann den „Jedermann“ bald nach dem Krieg sah, war ich entsetzlich enttäuscht. Das Stück mit seiner Altertümelei mag ich bis heute nicht.

Wen schätzen Sie als Dramatiker?

William Shakespeare. Er ist der größte Dichter aller Zeiten. Homer möge mir verzeihen! Shakespeare hat für sich und sein Theater geschrieben, hat die Literatur nicht für heilig genommen. Deshalb ist er auch nicht ein Klassiker im engeren Sinne. Ich habe die Maria in „Was ihr wollt“, die Amme in „Romeo und Julia“, die Paulina im „Wintermärchen“ und die Frau Hurtig in „Heinrich IV.“ gespielt. Das ist für mich das Höchste, denn bei Shakespeare liebe ich die Figur des Falstaff am meisten. Er wird immer falsch eingeschätzt, als dicker Komiker, aber er ist eigentlich eine tragische Figur. Falstaff bleibt in seiner Entwicklung stehen, während Heinrich König wird und seinen Jugendsünden entsagen muss.

Sie haben viel mit Ihrem 1988 verstorbenen Mann zusammengearbeitet, der Regisseur und dann Direktor am Volkstheater war. War die Arbeit mit ihm harmonisch? Oder hat er Sie auch zu Dingen gezwungen, die Sie so nicht spielen wollten?

Wir haben bei den Proben schon viel gestritten, sonst waren wir meist einer Meinung. Aber bei „Frau Suitner“ von Karl Schönherr waren wir es nicht. Das war das einzige Mal, dass ich mich gebeugt habe. Erst habe ich die Junge gespielt, später die Alte. Frau Suitners Tragödie ist es, dass sie keine Kinder kriegen kann. Sie führt ihrem Mann eine Junge zu und begeht dann Selbstmord. Dorothea Neff hat sie ganz anders gespielt, als ich mir das vorgestellt habe. Ich hätte eine blühende Frau gezeigt, die eben keine Kinder kriegen kann. Das ist doch viel tragischer, als wenn man eine verhärmte, kranke Frau spielt.

Sie haben oft komische Rollen gekriegt. Ging Ihnen das nicht auch auf den Geist?

Es ging mir manchmal auf die Nerven, auch, dass ich in diese Schublade gesteckt wurde.

Es gibt doch auch Vorteile für dieses Fach.

Ja, man kann auch später noch die komische Alte spielen, da hat man ein Glück, während die anderen Rollen für Frauen mit den Jahren rarer werden. Einen König Lear aber gibt es für uns trotzdem nicht. Und früher haben die Männer sogar Frauenrollen gespielt. Was soll man da machen?

War es bei so berühmten Eltern für jene zwei Ihrer drei Kinder erschwerend oder erleichternd, ebenfalls eine Karriere am Theater zu machen?

Mein Mann war immer dagegen. Er hat gesagt, seine Tochter dürfe erst eine Bühne betreten, wenn sie im Wechsel sei. Es wird ja nicht jeder ein großer Schauspieler. Wenn man dann aber an einem Theater bleibt und immer nur „Die Pferde sind gesattelt“ sagen darf, dann ist das natürlich eine verfehlte Sache. Da steht man dann neben denjenigen, die die großen Rollen spielen und wahrscheinlich auch besser sind.

Auf Sie trifft das Verfehlen keinesfalls zu!

Ich habe nicht so eine Riesenkarriere gemacht, aber ich habe Glück gehabt. Meine erste Rolle in „Parforce“ an den Kammerspielen 1948 war ein großer Erfolg, und im nächsten Jahr war ich bereits Ensemblemitglied im Volkstheater. Heute wollen hingegen alle Schauspieler frei sein. Ich war glücklich, in einem Ensemble zu sein, obwohl man dort auch Sachen spielen muss, mit denen man nicht so eine Freude hat. Dafür kriegt man an jedem Ersten seine Gage. Ich war 60 Jahre am Volkstheater. Das aber würde ich heute niemandem raten. Es ist schon besser, wenn man herumkommt. Aber ich hatte Familie, und mein Mann ist meinetwegen in Wien geblieben, obwohl er einige attraktive Angebote aus Deutschland hatte.

Was hätten Sie getan, wenn Sie auf der Bühne nicht weitergekommen wären?

Ich weiß nicht. Dramaturgie? Diese Vorbereitung auf eine Inszenierung und das Bearbeiten von Stücken finde ich interessant. Solange mein Mann gelebt hat, war nicht daran zu denken, selbst Regie zu führen.

Was war die goldene Zeit für Sie?

Da bin ich befangen. Und doch, es war die Zeit, als mein Mann Direktor war. Er hat so viel junge Dramatiker gefördert – Peter Turrini und Wolfgang Bauer zum Beispiel. Vorher war mein Mann Oberspielleiter bei Leon Epp, er war ein guter Direktor, 16 Jahre lang, aber kein guter Regisseur. Es gab zwei Lager bei den Schauspielern. Zum Glück habe ich mit dem Epp nur zweimal etwas gemacht. Mein Mann hat damals Johann Nestroys Stücke neu definiert. Das ist aber längst vergangen, versunken wie ein Stein.

Halten Sie Nestroys schwarzen Humor immer aus? Ist er nicht manchmal eine nihilistische Zumutung?

Nein! Den Nestroy halte ich immer aus, gerade, weil es bei ihm heißt: „Die Welt steht auf kan' Fall mehr lang, lang, lang, lang, lang lang . . .“

Sie haben von Anfang an beim „Theater in den Bezirken“ mitgemacht, das nun seit 60 Jahren besteht. Wie ist das entstanden?

Da war ich von Anfang an dabei. Wir haben unter anderen in Wirtshäusern gespielt, unter ganz einfachen Bedingungen. Unser Motto war: „Ihr entgeht uns nicht!“ Wir haben das auch gemocht, weil wir für diese Aufführungen 75 Prozent mehr Gage bekommen haben. Das waren auch relativ gute Vorstellungen. Der Epp hat uns damals zusammengerufen. Otto Schenk war noch bei uns im Ensemble. Er stand auf und fragte: „Herr Direktor, glauben Sie nicht, dass es eine richtige Schmiere wird?“ Epp hat zurückgefragt: „Ja, haben Sie denn kein Vertrauen zu mir?“ Und der Otti hat gesagt: „Nein!“ Otto Schenk wurde dann „wegen mangelnden Talents“ entlassen.

Ihr Mann war, Ihr Sohn Paulus ist auch Regisseur. Haben die beiden viel gemeinsam – oder ganz unterschiedliche Stile?

Das kann man nicht so vergleichen. Mit Paul habe ich nur ein Mal gespielt. Das war wunderbar. Er war der beste Regisseur nach seinem Vater, den ich erlebt habe.

Das heißt viel. Immerhin haben Sie auch bei Gustaf Gründgens gespielt.

Das war bei „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ in Düsseldorf 1952. Ich spielte das Lieschen, Fritz Korntner den Rappelkopf. Es war überhaupt kein Erfolg, weil die Deutschen so dumm waren und gesagt haben: „Diese blöden Österreicher und ihre Märchen!“ Es zeugt von der geistigen Qualität von Gründgens, dass er Ferdinand Raimunds Genialität erkannt hat. Gerade dieses Stück hat doch Freuds Tiefenpsychologie vorweggenommen.

Was hat Sie denn in Ihrem Leben jung gehalten?

Ich fühle mich nicht so jung, aber scheinbar wirke ich jünger, obwohl ich leider seit einiger Zeit durch ein zweimal gebrochenes Knie nicht gehen kann. Aber wenn ich Krebs hätte, wäre es ärger. Es könnte immer schlimmer sein.

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