Theater an der Wien: Eine Nymphe mit Trampelcharme

Theater an der Wien, Platée
Theater an der Wien, Platée(c) Theater an der Wien/Rittershaus
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Rameaus „Platée“ als Satire auf die Modewelt von heute: ein hinreißendes Erlebnis dank Regisseur Robert Carsen und Marcel Beekman in der Titelrolle.

Jubelstürme fegten zuletzt durchs Theater an der Wien, sogar noch vehementer als das Durcheinander aus Regengeprassel und Windböen, das Les Arts Florissants zuvor in den Gewitterszenen von Jean-Philippe Rameaus „Platée“ vor Ohren geführt hatten: Jubelstürme vor allem für den fabelhaften Tenor Marcel Beekman in der Titelpartie sowie für Regisseur Robert Carsen, aber auch für das ganze Ensemble. Nicht alle Tage lässt sich auf so hohem Niveau Musiktheater als Gesamtkunstwerk erleben – ausgerechnet (oder besser erst recht) bei einem über zweieinhalb Jahrhunderte alten Stück, das in dieser souveränen Inszenierung aber von nichts anderem zu erzählen scheint als von unserer Zeit.

Die hässliche Nymphe Platée haust in einem Froschtümpel, hält sich aber für so schön, dass der Olymp auf sie aufmerksam wird und ihre Eitelkeit nützt: Um Juno von ihrer Eifersucht abzubringen, wird eine Hochzeit zwischen Jupiter und Platée vorgetäuscht, in welche die Göttergattin hineinplatzt und angesichts ihrer „Konkurrentin“ nur versöhnt lachen kann. Platée bleibt gedemütigt zurück. – Ein gewagtes Sujet für eine Festoper zur Hochzeit des französischen Dauphins mit einer kaum betörenden spanischen Infantin. Doch wogen im Verständnis der Zeit Platées Verfehlungen gegen die Etikette viel schwerer als ihr Aussehen. Bis heute bereitet es kindliches Vergnügen, dass Rameau und Librettist Adrien-Joseph Le Valois d'Orville die unvorteilhafte Sprache der Nymphe hervorkehren, indem sie ihr jene Laute in den Mund legen, die sich einmal in einem berühmt gewordenen Chor zum Quaken der Frösche vereinen („Pourquoi? Quoi? Quoi?“). Dass sie darüber hinaus ständig gegen höfische Sitten verstößt, ist im intendierten Ausmaß für uns jedoch so schwer begreiflich wie manche Textpointe.

Prunkvoll und präzise inszeniert

Hier springt Carsens Deutung in virtuoser Weise ein, verbindet barocke Ausstattungslust (Gideon Davey) mit präziser Beobachtung und Personenführung und macht dadurch die satirische Kraft des Werks neu begreiflich – in neuem, aber ungemein schlüssigem Ambiente, in welchem dem Text auch manch herrlich komischer Doppelsinn zuwächst. Der weniger geglückte Prolog ist rasch vergessen – eine Partygesellschaft ersinnt unter dem Zentralgestirn der Discokugel das nachfolgende Stück. Dieses spielt in einem von der Hautevolee in Haute Couture frequentierten, verspiegelten Luxushotel, wo Reich und Schön aus Mode- und Medienwelt sich von Paparazzi beim In-Sein beseitenblicken lassen. Dabei finden etwa die göttlich verursachten Stürme ihr logisches Abbild: die High Society als blind wütende Naturgewalt. Mittendrin und glamourös peinlich: Platée, die das volle Beautyprogramm gebucht hat und in der Lobby im Badetuch herumschlapft. Beekman, im Theater an der Wien etwa aus Monteverdis „Ulisse“ schon in einer Travestierolle bekannt, spielt die selbstbewusste Dame aus Herzenslust und mit Herzblut. Mit klarem, ausdrucksstarkem Tenor versprüht er einen von Testosteron bestimmten und doch grandios darüber hinauswachsenden Trampelcharme, wie er etwa von Hape Kerkelings überwuzelter Schlagersängerin Uschi Blum bekannt ist. Kein Wunder, dass diese Platée dem vermeintlichen Verehrer Jupiter sofort zu Füßen liegt, dem Edwin Crossley-Mercer in Gestalt Karl Lagerfelds passables Profil gibt. Sängerisch keineswegs untadelig, aber passend exaltiert ragt Simone Kermes aus dem Ensemble heraus, die als „La Folie“ ihr selbst aufgebautes Image als Popstar der (Barock-)Oper gewissermaßen ungefiltert und „larger than life“ auf die Bühne stellen darf. Dazu fantastisch anmutende Modenschauen, Orgien und Tänze (Nicolas Paul), mit viel nackter Haut: Oberfläche triumphiert – aber das Mitleid mit Platée bleibt.

Les Arts Florissants ließen unter der Leitung des Einspringers Paul Agnew, selbst gefeierter Platée-Darsteller, die Partitur wie ein reiches Bukett erblühen, auch wenn ein paar Blättchen Unkraut dabei waren: Marginalien eines hinreißenden Opernabends.

Noch am 19., 21., 24., 26., 28.2., 19 Uhr. Informationen und Karten: www.theater-wien.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2014)

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