Die fantastische Welt der Künstler von Gugging

© Nikolaus Walter / Peter Badstübner, Dietmar Nigsch
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Zu Gast in Wien, beeindruckt Vorarlbergs Projekttheater mit „Ein schöner Hase...“ von Philipp Weiss.

Nach kurzer Zeit glaubt man im Wiener Schauspielhaus, die Gugginger Künstler August Walla (1936–2001) und Ernst Herbeck (1920–1991) seien wieder zum Leben erweckt worden, so kongenial werden sie von Dietmar Nigsch und Peter Badstübner imitiert. Der eine trägt eine rote Mütze und hat eine rote Handtasche, in die er ein kleines Posthorn verstaut, nachdem er es kurz gespielt hat. Die Hosen des wuchtigen Walla sind viel zu kurz. Herbeck hingegen, der angespannt wirkt, das Gesicht immer wieder verzieht, hat einen viel zu großen, mausgrauen Anzug an. Sie üben Minimalismus, als ob sie sich in ein fabulöses Endspiel von Samuel Beckett verirrt hätten.

Das Gastspiel des Vorarlberger Projekttheaters mit „Ein schöner Hase ist meistens der Einzellne“, das am Montag in Wien Premiere hatte, ist toll gemacht, sowohl von den Darstellern her als auch vom Stück des jungen Dramatikers Philipp Weiss und durch die unaufdringliche Regie Susanne Lietzows. Sie beherrscht das Multimediale, ohne viel vom Text abzulenken. In fünf Bildern wird das Leben dieser Männer gezeigt, die einen Großteil ihres Lebens in der Nervenheilanstalt nahe Wien verbracht haben. Zuvor hatten sie das NS-Regime, das derart Kranke systematisch ermordete, nur knapp überlebt. Sie reiften in Gugging, vom Arzt Leo Navratil gefördert, zu anerkannten Künstlern – Herbeck als Dichter, Walla als Vertreter der Art Brut.

Die Abschnitte Vernichtung, Verwahrung, Verwandlung, Verklärung, Vermarktung sind chronologisch angeordnet. Anfangs sitzen die beiden Männer stumm auf Plastikstühlen, während hinter ihnen auf zwei schräg gestellten, halb transparenten Leinwänden in Videoeinspielungen (Petra Zöpnek) Menschen zu Wort kommen, die von den beiden erzählen – Angehörige, Pfleger, Ärzte, Gäste einer Ausstellung, Menschen auch, die das Vernichtungsprogramm selbst nach dem Krieg guthießen. Oft sind die Stimmen asynchron zum Film. Am treffendsten wird die Kakofonie des Grauens, wenn Nachbarn im Schrebergarten als mordlüsternes Kasperltheater auftreten.

Der Tod der geliebten Großmutter

In den Videos agieren unter anderem Maria Hofstätter und Florentin Groll. Das ist grandioses Kino. Man erfährt, dass Walla als Kind durch den Tod der Großmutter traumatisiert wurde, dass Herbeck, der an einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte litt, durch den Krieg in den Wahnsinn getrieben wurde. Dann aber, mitten in dieser Aufführung von 95 Minuten, beginnen die beiden Protagonisten zu sprechen. Es sind berührende Sätze, die man von ihnen hört. Durch ihre Sprache, ihre Poesie und ihre Bilder taucht der Zuseher in eine Welt ein, die nur auf den ersten Blick fremd erscheint. „Ich schaue in den Spiegel und sehe nichts“, heißt es einmal. Aber diese Entrückten sagen uns ihre fantastische Wahrheit und zeigen die Welt, als ob sie ein Fall sei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2014)

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