Village People: Jodeln auf der Sonnenbank

Einkochen mit den Rabtaldirndln.
Einkochen mit den Rabtaldirndln.(c) Otto Saxinger
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Die Landleute kommen in die Stadt und räumen mit idyllischen Klischees auf.

Operation Wolfshaut
Operation Wolfshaut(c) Johannes Gellner

Village People kommen nach Wien. Keine falschen Assoziationen bitte! Die einst sangesfreudigen, jetzt alten Herren aus Manhattan spenden lediglich den witzig-ironischen Titel für einen Themenschwerpunkt im Brut. „Dorfleute“ – Performer und Tänzerinnen – kommen in die Stadt (manche sind auch schon da), um sich mit Land und Leuten, Hof und Heimat künstlerisch auseinanderzusetzen.
„Die Themen Folkloristik und Volkskultur beschäftigen den zeitgenössischen Tanz derzeit sehr, nicht nur in Wien“, argumentiert Thomas Frank, Intendant des Brut, der die Idee für Titel und Thema hatte. Man könnte die Feststellung aber über den Tanz hinaus erweitern, beschäftigt doch Leben und Treiben auf dem Lande schon seit Längerem viele Städter. Appetitlich bunte Magazine, gedruckt oder über den Bildschirm flimmernd, bringen sozusagen ja die Natur ins Haus.

Ambivalent. Performer und Tänzerinnen betrachten dieses Lebensgefühl allerdings nicht unkritisch. „Es geht“, sagt Frank, „sehr stark um die künstlerische Auseinandersetzung mit gelebten Praktiken und sozialen Realitäten jenseits des Theaters. Volkstänze zum Beispiel sind in diesem Zusammenhang deshalb interessant, weil sie ihre Bedeutung nicht in erster Linie aus der Virtuosität der Darstellung, sondern aus der sozialen Komponente, sprich der gemeinschaftsstiftenden Praxis beziehen. Als soziales Phänomen sind Volkstänze, wie Folkloristik im Allgemeinen, aber zum Teil auch ideologisch behaftet und dadurch ambivalent.“ Klar, dass diese Ambivalenz samt der Erinnerung an die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazi-Zeit die Künstlerseelen belebt und auch reizt.

Tänzer, Choreografen und Performer interessieren sich für das gemeinschaftsstiftende Potenzial des Kreistanzes, für den neuen Konservatismus, der die Frauen zurück an den Herd jagt, oder für falsche Ideologien, die an schönen Bräuchen kleben. Regisseur Ed Hauswirth (Theater im Bahnhof, TIB) und sein Team beobachten, nicht nur in Graz, dass sich die Stadt, während das Dorf zur Stadt heranwachsen möchte, gern mit dörflichen Strukturen schmückt: Bauernmärkte an allen Ecken, Bäumchen am Straßenrand, Trinkbrunnen, autofreie Plätze, Bänke, um in der Sonne zu sitzen – nur, so das TIB, „das Selbstverständnis ist ein anderes“.

Das fällt auch den fünf Rabtaldirndln aus Graz auf, gefallen mag es ihnen nicht: „Der Trend ‚Zurück zur Natur bedeutet einen feministischen Rückschritt“, meinen sie und gehen daran, die Notlüge „Ich tu es ja gern“ zu entlarven. Mit ihrem Knecht, dem Schriftsteller Bodo Hell, kommen sie nach Wien, stellen sich auf den Karmelitermarkt (26. 4.) und halten als  Chefinnen von „Einkochen“ abends im Brut eine öffentliche Generalversammlung ab. Wer fleißig der Landlust gefrönt hat, soll Eingekochtes mitbringen, auch wenn sich die Rabtaldirndln keineswegs einkochen lassen und die  Kirche im Dorf bleibt.

Im Dorf – da sitzt man seit je auf der Hausbank, schaut in die Abendsonne und lässt den Herrgott einen guten Mann sein. „SunBengSitting“ nennt denn auch Simon Mayer, vielseitiger Bühnenkünstler aus Oberösterreich, seinen Besuch in der Stadt. Man muss den scheinbar englischen Titel nur laut aussprechen, um zu erkennen, dass es sich eben um die meditative Tätigkeit des Sitzens auf der Sonnenbank handelt. Mayer ist selbst die personifizierte Synthese von Land und Stadt: Dort, wo er 1984 geboren wurde, lebt er auch. Im Innviertel, mit seinen Brüdern auf dem eigenen Biobauernhof. Studiert hat er in Wien, an der Ballettschule der Staatsoper, in deren Ensemble er auch kurz getanzt hat. „Ich wollte damals niemandem erzählen, dass ich von einem Bauernhof komme. Bauer wurde als Schimpfwort benutzt.“

Schuhplatteln, Aperschnalzen.
Mit „SunBengSitting“ will er, indem er Traditionen wie Schuhplatteln oder Aperschnalzen in seine Performance integriert, verkrustete Vorurteile auflösen und zu einem generell neuen Blickwinkel animieren. „Das funktioniert weniger über den Verstand als über die Emotionen. Goaslschnalzen oder Jodeln, da gibt es fast eine spirituelle Ebene.“ Ähnliches empfinden auch Wiltrud Breuss, als Stadtkind Mitglied der Gesangsformation Jedweder Küchenchor, und ihre Freundin Marlies Sutterlüty, geboren und aufgewachsen in Vorarlberg, die einmal in der Woche im Jodelchor singen. „Ich komme dabei zu ganz neuen Gefühlen in mir“, sagt Breuss. Sutterlüty assistiert: „Ein bissl Provokation ist schon auch dabei. ‚Ich geh jodeln, da rollt schon so manche die Augen.“ „Alpenländisch“ zu sein liegt ihr fern, sie genießt es, in der Gemeinschaft zu jodeln: „Einfach schön, dieses gemeinsame Singen.“
Um das Erlebnis der Gemeinschaft im ländlichen Tanz dreht sich auch Doris Uhlichs Beitrag, „Verfassung“. Der Begriff gefällt ihr, „er hat ja mehrere Bedeutungsebenen.Wir sind in vielen Gemeinschaften, aber die sind meistens virtuell. Ich baue meinen Volkstanz der Gegenwart und schaffe eine Gemeinschaft durch Berührung.“ Doch auch Uhlich weiß, dass „Volkstanz etwas Zweischneidiges hat. Das ist immer dabei.“ Berührungsängste haben Performer und Tänzerinnen vor dem Volkstanz keine, im Gegenteil – auch in Ballettchoreografien fließen immer wieder Volkstanzelemente ein.“ Nicht nur, um Grenzbäume umzulegen, kommen die Dorfleute in die Stadt. Tanzend, singend, plattelnd und schnalzend sollen Klischees zertrümmert werden. Einig sind sich alle Beteiligten, dass Tanz und Performance noch rein urbane Phänomene sind. Nicht wegen der sturen Köpfe auf dem Land, sondern wegen mangelnder Möglichkeiten.

Mayer hat einen Ausweg gefunden, um wenigstens einen der fahlen Flecken auf der ländlichen Kulturkarte in Farbe zu tauchen: Jeden Sommer veranstaltet er mit den anderen Mayer-Buam das Festival „Spiel“ im Bauernhof. Weniger  für den städtischen Festival-Jetset als für die Nachbarn. Die kommen auch und wundern sich: „Was willst du jetzt damit sagen?“ Mayer freut sich über das direkte und unverblümte Feedback dieses ländlichen Publikums.

Tipp

Village People, Themenschwerpunkt im Brut, mit Simon Mayer, Doris Uhlich, Rabtaldirndln, Theater im Bahnhof / Gaststubentheater Gößnitz und dem International Village Shop. 25. 4. bis 15. 5., Brut, www.brut-wien.at

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