Off-Theater oder: Verteilt Geld – bis jeder genug hat

COM DI COM COMÒ IM WIENER ODEON
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Wie avantgardistisch ist die Avantgarde? Soll sie avantgardistisch sein? Und wer bezahlt wie viel dafür? Eine Annäherung an Wiens Theaterlandschaft abseits der Großbühnen.

Auf der Homepage der Gruppe Toxic Dreams, die gern Mythen untersucht und sich darüber lustig macht, ist ein Video zu sehen: Thatcher, Reagan und Kreisky servieren in Kurzform ihre Rezepte zur Weltsanierung. Thatcher kann keine Society erkennen, daher auch keine Bedürfnisse einer solchen. Reagan ruft monoton „Steuern senken!“ Und Kreisky empfiehlt: „Verteilt, verteilt, verteilt bis jeder genug hat!“ Das Video ist unter „Politbüro-TV“ zu finden. Es sagt einiges über die Gesellschaft aus, aber auch über Kulturpolitik. Diese beruht auf Dogmen Kulturschaffender, in diesem Fall von Theaterleuten, die nicht hinterfragt werden dürfen, ohne dass alle in helle Aufregung geraten. Demnach gibt es nie genug Subventionen. Das System ist ungerecht. Die Kleinen bekommen zu wenig, die großen Institutionen zu viel.

Politiker wagen es selten, offen den Grundgehalt der Argumente anzuzweifeln, aber faktisch rudern sie in die Gegenrichtung: kürzen Subventionen oder erhöhen sie nicht. Schieben das Geld eher großen Institutionen als kleinen zu. Sie begründen ihr Vorgehen mit Budgetknappheit, etwas anderes als eine solche hat es freilich nie gegeben und wird es nie geben. 25 Millionen Euro gibt die Stadt Wien jährlich ihren Off-Theatern, das ist eine stattliche Summe, aber nur in etwa die Hälfte dessen, was das Burgtheater bekommt. Produzieren Off-Bühnen die Avantgarde, von der die Großbühnen leben? Nicht zwingend. Manche Off-Bühnen wie das Serapionstheater im Odeon sind niemals avantgardistisch gewesen – sie liefern seit Jahrzehnten vieldeutiges Bildertheater, das trotzdem vielen gefällt. Qualität, Attraktivität gibt es eben auch im traditionellen Theater.


Unsichtbare Mauer.
Auch vieles, was in Großbühnen produziert wird, erhebt den Anspruch der Avantgarde wie z. B. Stücke von Roland Schimmelpfennig (Burg) oder die sozialen Panoramen von Jacqueline Kornmüller über Kindheit oder Migration (Volkstheater). Wir leben eben auch theatralisch in einem Zeitalter sich öffnender Grenzen, zwischen Klein- und Großbühnen, noch mehr aber zwischen Genres. Das Stichwort dazu lautet Crossover. Popmusik, Video, Fernsehen gehören längst zur dramatischen Spielmasse. Die moralische Anstalt kann nur wirken, wenn sie sich die Maske des Spaßtheaters umhängt. Schön: Die Schauspieler der Off-Theater werden immer besser. Weniger schön: Es gibt kaum Austausch, weder künstlerisch noch personell, zwischen Großbühnen und Off-Theatern.

Schau'n Sie sich das an! Ein paar Tipps für die nächste Zeit. Das TAG, u. a. spezialisiert auf Impro-Theater und Klassikerparodien, bringt am 23. 4. eine Uraufführung: „Kissing Mister Christo“ von Dominic Oley nach Dumas' Roman „Der Graf von Monte Christo“. Das Kosmos-Theater zeigt „Große Töchter“ von Barbara Herold, eine dokumentarisch-satirische Collage, bei der Margarete Schütte-Lihotzky, Hedy Lamarr oder Ute Bock zu Wort kommen (UA: 24. 4., bis 3. 5.). Die Jüngsten: Slam-Poeten im Burg-Kasino (23. 4.), TAGebuch-Slam im TAG (27. 4.), „X Jahre Kriegsfreiheit“, das Siegerprojekt des Dramatikerwettbewerbs in der Drachengasse (5.–17.5.).

„Kultur ist Investition in die Zukunft, denn sie sichert das Weiterbestehen des Menschlichen“, sagt der in Wien und Berlin lebende Regisseur, Schauspieler, Dramatiker Volker Schmidt: „Äußeres ohne inneres Wachstum erzeugt Hohlheit. Bei Kultur sparen, heißt bei der Entwicklung der Gesellschaft zu sparen. Gerade die Mittelbühnen haben in den vergangenen Jahren eine neue Dynamik in die Stadt gebracht.“ Ab 21. 5. ist Schmidts Inszenierung von „Zero People“ in der Garage X zu sehen. Zuvor, am 30. 4., wird die musikalische Politrevue „Sweet Lies“ von Toxic Dreams uraufgeführt, es geht um große Worte, leere Versprechen, wie sie in der Politik vorkommen, manchmal aber auch im Theater.

facts

Rund 25 Theater zählen zum „Inner Circle“ Wiener Bühnenverein. Der Monatsspielplan der APA für April zählt jedoch über 200 Premieren in ganz Österreich! Zwei namhafte Wiener Off-Theater werden im Herbst neu besetzt: Schauspielhaus (57 Bewerber) und Brut (34 Bewerber).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2014)

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