Wie geht es dem Theater im Rabenhof?

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Große Theater durchleben derzeit Existenznöte. Was aber machen die Intendanten kleinerer Häuser? Das Rabenhof-Theater zum Beispiel muss mit zwei Prozent der Subventionen auskommen, die das Burgtheater erhält.

Wie eine Burg steht in Erdberg der Rabenhof, turmhoch ragt der Großkomplex als ein Zeichen des machtvollen Roten Wiens der Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts himmelwärts. Einst hatte dieser Gemeindebau Austerlitz-Hof geheißen, nach dem legendären Chefredakteur der „Arbeiterzeitung“, doch dieser Name wurde im Ständestaat getilgt und durch eine ältere Bezeichnung der Gegend ersetzt. Rabenhof verweist heute auch auf ein Theater im Zentrum dieses Gemeindebaus, das einst ein Kino und zuvor ein simpler Versammlungsraum war. Der Zugang zur Kultur ist nicht zu übersehen. Man steigt ein paar Treppen hoch, wird von einem aufgemalten roten Teppich zum Eingangsportal geleitet. Dort geht es hinab in das Souterrain, zur Bühne, die ungefähr so groß ist wie jene der Josefstadt. Der Zuschauerraum fasst halb so viel Publikum wie die Konkurrenz im Achten – knapp 300 Personen. „Wir gehören zu den großen mittleren Bühnen“, sagt Thomas Gratzer, der nun schon in der elften Saison dieses Haus leitet. Er hat es unter schwierigen Bedingungen übernommen. Vor ihm drohte die Pleite, die finanzielle Situation war unübersichtlich.

Gleich beim Eingang oben ist Gratzers Büro. Auf seiner Tür steht „Kunst“, bei der Kassa gegenüber steht „Kohle“. Nur ein paar Schritte also trennen Kommerz und Künste. Wie sieht die Arbeitsstätte eines Intendanten in Erdberg aus? Er grinst: „Ich bin hier zugleich auch der Portier, von hier aus entgeht mir nichts. Und ich wollte auch keine isolierte Zelle.“ Der Direktor teilt sich gefühlte zwölf Quadratmeter mit seinem Kaufmännischen Geschäftsführer Roman Freigaßner, der zugleich Chefdramaturg ist, sowie mit mindestens zwei weiteren Assistenten. Noch dichter geht es in der Küche einen Stock weiter unten zu, die als „Konversationszimmer“ angeschrieben ist. „Hier bei der Kaffeemaschine spielt sich alles ab, hier haben wir auch Besprechungen, Fernsehen, DVD und sogar eine Stereoanlage, wenn sie nicht gerade wieder ausgeborgt wurde“, sagt Gratzer und prüft, ob die Kabel angeschlossen sind, weil das Gerät erst nicht funktionierte. Die Fläche dieses Multifunktionsraums? Sicher sogar noch kleiner als die Direktion.

Auch die zwei Garderoben sind schlicht, hier gibt es keine Privilegien. Daneben, an der Bar, jedoch zeigt sich so wie beim Buffet vor den Eingängen zum Zuschauerraum schönes Ambiente. Beim Renovieren 2008 wurde alte glasierte Keramik als Wandvertäfelung im Rundgang um den Bühnen- und Zuschauerraum freigelegt, das Original der Gründungszeit strahlt wie neu. Es steht jetzt unter Denkmalschutz.

Welches Publikum hat man mitten im Dritten? Freigaßner: „Quer durch den Gemüsegarten. Unsere Gäste gehen auch ins Akademietheater, hören FM4 und Ö1.“ Man möchte Anspruchsvolles bieten, in satirisch-ironischer Form. „Wir versuchen, gesellschaftspolitisch zu intervenieren, durch Haltung. Das gilt zum Beispiel für unser Puppentheater. Dieses Genre hatte in Österreich zuvor kaum Tradition.“

Eben sind die Techniker nach der Pause zur Nachmittagsvorstellung des Kinderstückes „Die Argonauten“ in ihre Kabinen hinter dem Zuschauerraum hochgegangen. Jetzt machen die Bühnenarbeiter in der Küche eine kurze Pause. In einer Stunde haben sie dann 75 Minuten Zeit für den Umbau zur Abendvorstellung. Dichtes Programm beinahe jeden Tag, häufig eben auch zwei Vorstellungen. Nur so rechnet sich der Betrieb. Gratzer führt in ein Kellergewölbe noch tiefer unten, zur Technik. Jeder kleine Raum wird vollständig ausgenützt. Drei enge Kammern dienen als Lager, als Werkstätten und als Anlage fürs Live-Streaming. Regale voller Farben, Stoffe, Kartons, Papier. Dicht an dicht sind Scheinwerfer gepackt: „Von denen haben wir wirklich genügend, bei unseren Aufführungen sind die enorm wichtig“, sagt der Direktor.

Ganz hinten gibt es eine Koje mit Duschen für die Techniker und zwei Waschmaschinen. „Das ist die erste Aufgabe für die Hospitanten. Sie waschen die Kostüme, trocknen und bügeln sie. Bei uns wird das Theater von der Pike auf gelernt. Aus den vier Hospitanten, die bei uns in den zehn Jahren waren, ist auch etwas Ordentliches geworden“, sagt er und erwähnt fast beiläufig, dass seine Lehrkräfte jetzt bei Regisseurin Andrea Breth oder den Salzburger Festspielen arbeiten.

Wer am Rabenhof beginnt, hat offenbar eine universale Ausbildung. „Unsere Leute arbeiten, wo es geht, andere Häuser brauchen drei bis vier Posten, wo wir nur einen haben“, sagt Gratzer. Fabian, ein Dramaturg, nickt zustimmend und zeigt sich dabei auch irgendwie stolz: „Hier gibt es eine angenehme Atmosphäre, bei uns ist es tatsächlich familiär.“ Allerdings kann der Alltag ganz schön anstrengend werden. Bei den Endproben sollen 70 Arbeitsstunden pro Woche nicht selten vorkommen. „Da muss man ständig dabei sein“, sagt Lukas, der für den Ton zuständig ist, man sollte das Stück schon sehr gut kennen und kann sich kaum absentieren: „Wir gehören ja zum Stück dazu.“ Bei einem Abend wie „Bye-bye, Österreich!“ zum Beispiel muss der Mann am Ton an die hundert Einsätze bewältigen. „Man steht schon sehr unter Druck“, sagt Harald, der Lichttechniker. Aber das tue er sich eben „aus Liebe wie aus Not“ an. Alle hier verstehen ihren Beruf als einen künstlerischen. Bei den Proben geht es laut und offenbar lustig zu. Fotograf Ingo macht Szenenfotos, er ist ebenfalls vielseitig und hat auch das Bühnenbild für das aktuelle Stück geschaffen.

Freigaßner nennt konkrete Zahlen zum Team: „Bei uns sind ein Dutzend Menschen fest angestellt, drei bis vier Dutzend sind freie Mitarbeiter.“ Anders geht es nicht, finanziell. Auch er war von Anfang an bei Gratzer dabei, hat als Dramaturg begonnen und war zuvor Oberspielleiter bei dessen Vorgänger Karl Welunschek. „Der Roman schaut auf die Zahlen und ist auch noch ein Multitasker“, sagt Gratzer, „er inszeniert zudem das Kindertheater hier.“ Theater bedeutet einen „permanenten Überlebenskampf“, sagt der Ko-Chef, „als ich hier anfing, war das Kontrollamt im Haus.“ Unseriosität könne man sich auf keinen Fall leisten: „Wir sind Grenzbewohner der Krise.“

Die Geschäftsführung haftet persönlich für Verluste: „Wenn es sich nicht mehr ausgeht, können wir zusperren.“ Das Theater muss mit einer Subvention von 900.000 Euro pro Jahr auskommen. Darum haben die beiden Geschäftsführer im Vorjahr mit Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny hart kämpfen müssen, es waren Kürzungen geplant. Freigaßner: „Wir sind aber absolut am Limit, 50 Prozent des Umsatzes müssen wir selbst erwirtschaften. Und in eine Ein-Liter-Flasche passt eben nur ein Liter. Wir können nicht ausgeben, was wir nicht haben.“ Das ambitionierte Schauspielhaus zum Beispiel habe doppelt so viel Subvention, aber nur 170 Plätze. „Das Geld steht ihnen zu“, sagen die beiden, aber: „Wir sind das erfolgreichste Off-Theater Österreichs.“ Der Rabenhof wurde 2005 als beste „Off-Bühne“ mit einem Nestroy-Preis ausgezeichnet, 2008 bekam ihn Sebastian Wendelin als bester Nachwuchs für zwei Produktionen hier, zudem wurde das Haus bis 2012 noch weitere vier Mal nominiert.

Was wird für rund 1,8 Millionen Euro Umsatz geboten? Bis zu einem guten Dutzend Uraufführungen pro Jahr sind üblich, rund 300 Aufführungen und an die 80.000 Besucher kann es in guten Jahren geben. 2011 kam man zuletzt an diese Marken heran, mit einer Auslastung von 94,5 Prozent. Zehn Prozent weniger gelten schon als schwache Saison. „Die Ausgangslage war klar, als wir 2003/4 begonnen haben“, sagt der Direktor: „Das Theater darf nichts kosten, sondern muss auch noch Gewinn abwerfen.“

Auch deshalb hat man stark auf das von manchen Kritikern verhöhnte Kabarett gesetzt. „Bis heute ist es wichtig für uns geblieben“, sagt Gratzer, „Andreas Vitasek zum Beispiel ist ein Freund, dem es Spaß macht, hier aufzutreten, für einen Freundschaftspreis. Oder Ernst Molden, da haben wir eine ganz hohe Auslastung. Eigentlich sind solche Abende schon zu aufwendig für uns, wenn eine Band kommt, wenn zehn Leute auf der Bühne stehen.“ Um so eine Musikproduktion einzuspielen, müsse man zuvor 50 Mal erfolgreich Kabarett machen. Das größte Plus für den Rabenhof: „Wir haben mehr als zehn Jahre gut überstanden, weil wir immer schnell reagieren können. Da kann man dann auch mutig sein und neue Produktionen ausprobieren.“

Seit der Ära von Claus Peymann am Burgtheater ab 1986 sei es auch schwieriger für kleinere Theater geworden, mit Eigenem zu reüssieren. Gratzer: „Es ist kein Zufall, dass damals der Abstieg von Institutionen wie Schauspielhaus und Ensembletheater begann. Die Autoren haben lieber fürs Burgtheater produziert. Der breite Anspruch der Burg bis in den Off-Bereich war geradezu existenzbedrohend für die anderen Bühnen.“ Der Rabenhof hat sich in den letzten zehn Jahren seine Nischen gesucht, mit Eigenentwicklungen wie „Science Busters“, „Staatskünstler“ oder „Maschek“ Marken geschaffen. „Die ,Staatskünstler‘ sind inzwischen auch am Burgtheater“, ruft der Direktor in Erinnerung, „die ,Science Busters‘ sind seit fünf Jahren ausverkauft, aber wir müssen uns dennoch immer etwas Neues einfallen lassen.“

Die beiden Theatermacher wollen Trendsetter bleiben, sie versuchen, „so einmalig wie möglich“ zu sein. Produktionen wie die eben genannten haben einen hohen künstlerischen Anspruch. „Wir sehen das Theater aber auch als Bestandteil der Popkultur, und wir sind ein multikulturelles Theater. Es arbeiten bei uns Menschen verschiedener Nationalitäten und Religionen zusammen. Das ergibt Reibungsflächen, die an sich interessant sind.“ Mit dem modischen Begriff „post-migrantisches Theater“ kann Gratzer weniger anfangen: „Das Wort mag ja gut und schön sein, aber es war doch immer schon ein Thema, seit dem Othello, das ist doch gar nichts Neues.“

Wenn er nichts Neues mehr für sein Haus finden würde – welchen Traumjob gäbe es für ihn jenseits des Rabenhofs? Die prompte Antwort des Direktors: „Das Tropicana in Havanna!“

Rabenhof

1927. Der großflächige Gemeindebau im dritten Wiener Bezirk wird errichtet. Im Zentrum steht ein Versammlungssaal.

1934. Der Saal wird zu einem Kino gemacht.

1990. Das Theater im Rabenhof wird als zweite Nebenbühne des Theaters in der Josefstadt eröffnet.

2000. Die Josefstadt trennt sich von der Spielstätte. Neuer Leiter wird Regisseur Karl Welunschek.

2003 übernimmt Thomas Gratzer die künstlerische Leitung des Hauses. Roman Freigaßner wird sein Ko-Geschäftsführer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2014)

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