Morbider Maskenball im Fin de Siècle

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Ashley Page wirft für sein Ballett "Ein Reigen" Dutzende Persönlichkeiten des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts auf die Bühne: ein etwas anstrengendes Spektakel.

Alle sind dabei: Sigmund und Arthur, Bertha und Alma, Gustav und Oskar, Emilie und Wally, Egon und immer wieder: der Tod. In diesem „Reigen“ geben sich die Schönen und Bekannten des Fin de Siècle die Klinke in die Hand – und reichen einander die Damen weiter, wie das eben so ist in dieser nimmermüden Abfolge von Beziehungen und Affären, für die Arthur Schnitzlers „Reigen“ steht. Während sein 1920 in Berlin uraufgeführtes Bühnenstück noch einen gehörigen Theaterskandal evozierte, regt das heute keinen mehr auf. Aber die Idee hat ihren Reiz: Ashley Page hat Anleihe bei Schnitzlers amouröser Kettenreaktion genommen und sie der High Society des ausgehenden 20.Jahrhunderts übergestülpt – bemüht, ja niemanden auszulassen.

Er reiht in seinem am Dienstag uraufgeführten Stück Szene an Szene: Cocktailpartys bei Frau Zuckerkandl, Therapiesitzungen mit Freud, ehelicher Zwist bei den Schönbergs, neckisches Modellstehen vor Schiele und Anbandeln mit Altenberg im Kaffeehaus. Page geht es nicht um einen durchgehenden erzählerischen Handlungsstrang, und so haben die Tänzerinnen und Tänzer auch nicht die Gelegenheit, Charakter und Persönlichkeit ihrer Figuren eingehend zu beschreiben (es sind schlicht zu viele).

Wären da nicht die von Béla Fischer gekonnt arrangierten Übergänge zwischen den einzelnen Musikstücken (von Korngold bis Alban Berg, Zemlinksy bis Gustav Mahler, alles Reminiszenzen an die Epoche) und das ambitionierte Volksopernorchester unter Gerrit Prießnitz, das Stück würde sich auch musikalisch zu sehr zerfransen.

Wie eine Tourismusattraktion

Der britische Choreograf und ehemalige Principal Dancer des Royal Ballet, Page, ist ein deklarierter Fan von Wien und des Fin de Siècle, Bühnenbildner Antony McDonald ist es auch: Kokoschkas „Pietà“, Egon Schieles „Eremiten“, sein „Liegender Akt auf orangefarbenem Grund“ und Klimts „Frauenkopf“ sind dominante Dekormittel, auch das Riesenrad und überdimensionale Staffeleien sind zu sehen. Dieser „Reigen“ wird inszeniert wie eine Touristenattraktion, mit viel Klischee und überbordender Huldigung. Da muss man an die mit Klimt- und Schiele-Gemälden bedruckten Häferln und Geschirrtücher aus dem Souvenirshop denken. So etwas mag den Gast erfreuen, für das Wiener Publikum ist das zu viel des Guten.

Kommen wir aber zurück zum Defilee der Salonbekanntschaften: Die Damen und Herren des Staatsballetts müssen sich hier als Meister der Verschränkungen, Schräglagen, Verknotungen und Dehnungen erweisen. Pages Tanzsprache bringt den Wirbel der Hormone, das Feuer, die Eifersucht, die Liebe und Verzweiflung recht gut auf den Punkt. Robert Gabdullin wirkt als Tod bedrohlich, als Arthur Schnitzler liegt er bei Freud (Kamil Pavelka) auf der Couch, um gleich darauf mit dem Therapeuten und seinen Gefühlen zu kämpfen. Dagmar Kronberger hält als elegante Bertha Zuckerkandl Hof, wo sich Gustav und Alma Mahler (Eno Peci und Ketevan Papava) kennen und lieben lernen. Gleich darauf geht Alma mit Oskar Kokoschka (Kirill Kourlaev) leidenschaftlich zur Sache, während sich ihr Mann bei Freud auf die Couch legt.

Auch Arnold Schönberg (Roman Lazik) und seine Frau Mathilde (Nina Poláková), Gustav Klimt (Christoph Wenzel) und seine Muse Emilie Flöge (Eszter Ledán), Egon Schiele (Mihail Sosnovschi) und Lebensgefährtin Wally Neuzil (Maria Alati) tanzen diesen „Reigen“ mit – insgesamt 18 identifizierbare Figuren. Die etwas verwirrende Herausforderung für das Publikum lautet: Wer kennt wen?

Der ständige Szenenwechsel bei gleichzeitig immer wiederkehrenden inhaltlichen und tänzerischen Motiven und diese Fülle an Affären machen den Abend zu einem etwas anstrengenden Spektakel. Immer wieder schlägt auch der Tod zu, sogar der Selbstmord Richard Gerstls (Denys Cherevychko) wird angedeutet. So endet der „Reigen“ passend in einem morbiden Maskenball, zu dem auch die Toten und der Tod erscheinen.

„Ein Reigen“: 2. und 26. 5; 5., 20., 26. und 29. 6. (19h), Volksoper

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2014)

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