"Wir vermissen Bilder des Großen Führers"

Star-Fotograf Andreas Gursky manipulierte die Bilder eines Massenspektakels in Nordkorea.

Blutroter Sonnenaufgang, tiefschwarze Nacht, monströse Blumenmuster, eine Pistole, Friedenstauben auf blauem Himmel, der Geliebte Rirang verlässt seine Geliebte – Nordkorea bleibt traurig zurück, Südkorea entfernt sich von dem einzigen Führer, Kim Il-sung. Und 100.000 Menschen in einem Stadion in Pjöngjang lassen diese Bilder in einem gespenstischen gymnastischen Schauspiel mit ihren Körpern entstehen. „Arirang“, die unheimlich präzise Propaganda-Inszenierung der Geschichte der Legende Nordkoreas, ist die größte Massenveranstaltung dieses Landes.

Zuletzt wurde der deutsche Star-Fotokünstler Andreas Gursky wenig vertrauensvoller Zeuge dieses Spektakels. In seiner gerade laufenden Retrospektive im Haus der Kunst in München sind seine manipulierten Aufnahmen jetzt zu sehen. Die Großformate sind Konzentrate aus Dutzenden Aufnahmen, die der 1955 in Leipzig geborene Künstler am Computer dann zu einem Ganzen zusammensetzt. So kann er die Künstlichkeit der Szenen weiter steigern, die Idee des Kollektivs durch das nahezu perfekte Ornament provokant auf die Spitze treiben.

Ein derart strenges Muster, das den einzelnen Menschen zum Träger eines alles überlagernden Systems macht, sucht Gursky oft in seinen Bildern – sei es seine Ansicht einer Spargelernte in Brandenburg oder einer vietnamesischen Korbflechterei, die übrigens als Leihgabe des Wiener Museums moderner Kunst im Büro von Bundeskanzler Gusenbauer hängt. Eine dekorative Überspitzung, in der zwar Kritik mitschwingt, im Vordergrund aber eher die ästhetische Lust an diesen Systemen zu stehen scheint. Das nordkoreanische Regime muss jedenfalls glauben, in Gursky seinen idealen Staatskünstler gefunden zu haben.

Gesichter aus der Masse gerissen

Eine aus westlicher Sicht weniger angreifbare, direktere künstlerische Möglichkeit mit den für uns schwer erträglichen Massen-Inszenierungen Nordkoreas umzugehen, nämlich genau in ihnen das Individuum zu suchen, verfolgt der in Wien lebende italienische Fotograf Luca Faccio. In mehreren Reisen porträtierte er trotz Überwachung erstaunlich subjektiv Land und Leute. Zu aller Überraschung konnte er diese Aufnahmen 2006 sogar in Pjöngjang selbst zeigen – trotz Kritik des Regimes („Wir vermissen Bilder der Bronzestatue des Großen Führers Kim Il-sung“). Ab kommenden Dienstag sind rund 60 Fotos und zwei Videos Faccios im Project Space der Kunsthalle am Karlsplatz zu sehen.

Im Haupthaus im Museumsquartier dagegen widmet man sich „Rirang“, dem angeblich so treulosen Geliebten, Südkorea. Die Postmoderne scheint dort ähnlich unvorbereitet hereingebrochen zu sein wie der Turbokapitalismus. Die von einer Auslandskoreanerin und einem Franzosen zusammengestellte Gruppenschau „Elastic Taboos“ soll jetzt die „Widersprüche“ zeigen, die das Land „zerreißen“. Ein großes Vorhaben in der kleinen Halle, das immerhin in Ansätzen verwirklicht wird. Schön zu sehen etwa an den beiden Sound-Installationen, die beide in so unterschiedlichen Traditionen ihres Landes wurzeln: Die junge Lee Seulgi lässt eine lehmig aussehende Trommel-Säule rotieren wie ein wild gewordener buddhistischer Mönch. Und „Bubblyfish“ komponiert aus dem Sound von Gameboys – Nintendo! – minimale Elektro-Musik. Bei solchen Gegensätzen darf einem schwindlig werden. Oder ist es doch die Discokugel, die Jung Yeondoo, der „visuelle Schlagersänger“, übers koreanische Meer montiert hat?

Klar wird jedenfalls, dass auch in Südkorea global vermarktbare Kunst entsteht, dass hier wie überall Vielfalt herrscht. Am erstaunlichsten ist da noch die Rekonstruktion einer Arbeit Lee Kang-sos: 1975 band er einen Hahn an ein Seil und ließ das Tier in verstreutem Mehl ein abstraktes Bild scharren. Was in der Kunsthalle heute wieder zu sehen ist. Inklusive ein paar welken Salatblättern, fauligem Wasser und einem leeren Seil. Der Hahn selbst durfte hoffentlich südkoreanische Kunstgeschichte bleiben.

Inline Flex[Faktbox] ZU DEN AUSSTELLUNGEN("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2007)

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