Wer fürchtet sich denn vor dem Rosenkavalier?

FOTOPROBE: 'WAS IHR WOLLT'
FOTOPROBE: 'WAS IHR WOLLT'APA/GEORG HOCHMUTH
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Eine Frau liebkost eine Frau. Ein Mann hält einen Burschen für eine Zofe. Richard Strauss' "Rosenkavalier" beleuchtet nur einige Aspekte von Hosenrollen. Kunst liebt den Switch und die Verwirrung der Geschlechter.

Als die Götter den Menschen schufen, waren sie von ihrer Schöpfung zunächst sehr begeistert. Doch der Mensch wurde immer mächtiger, die Götter bekamen Angst. Sie schlugen den Menschen in zwei Teile, in der Hoffnung, auch seine Stärke zu dividieren. Fortan waren die Menschen beschäftigt: Die Männer liefen Frauen nach, die Frauen Männern. Lustig! Für die Götter.

Seit Tom Neuwirth alias Conchita Wurst sind Geschlechterrollenwechsel in aller Munde. Doch das Thema ist so alt wie die Menschheit und fast ebenso alt sind die Tabus und Verbote, mit denen es belegt ist. Am 1. August hat bei den Salzburger Festspielen Richard Strauss' „Rosenkavalier“ Premiere – in der Regie von Harry Kupfer, dirigiert von Franz Welser-Möst. Fragt man Musikfreunde, welchen Hintersinn es denn habe, dass der Rosenkavalier eine Dame ist, die Marschallin ebenfalls, sodass zwei Frauen miteinander im Bett liegen, bekommt man die schlichte Antwort: „Weil das Duett der Frauenstimmen so schön ist!“ Das aber ist nur eine Seite der Wahrheit.

Viele Opernfreunde denken beim „Rosenkavalier“ an weiße Perücken, das liegt auch an der sehr haltbaren Wiener-Staatsopern-Inszenierung von Otto Schenk. Es gibt aber auch andere Aufführungen, etwa Herbert Wernickes Salzburger Festspielversion (zuletzt in Baden-Baden dirigiert von Christian Thielemann): Sophie Koch marschiert in der Anfangsszene wie ein echtes Mannsbild über die Bühne, überreicht dann die silberne Rose in Frack und Zylinder, sie sieht aus wie ein Conférencier. Dass der robuste Kerl Ochs sich an den als Kammerzofe verkleideten Octavian heranmacht, ist die zweite Geschlechterverwirrung im „Rosenkavalier“, der 1911 uraufgeführt wurde. In der teils klassisch melodiösen, teils modern dissonanten Musik mag man auch die Verwirrung hören, die sich in dieser Oper nicht nur in den Gefühlen, sondern eben auch zwischen den Geschlechtern bemerkbar macht. In einer weiteren Oper, „Ariadne auf Naxos“, hat Strauss den Komponisten als Hosenrolle angelegt. Warum spielt die Kunst gern mit Geschlechtertausch?

Ein Grund: Homosexualität war eine lange Zeit in der Geschichte verboten, in Österreich wurde sie 1971 legalisiert. Die Kunst war der einzige Bereich, wo sich, mehr oder weniger kodiert, gleichgeschlechtliche Beziehungen frei entfalten konnten. Im Theater zu Shakespeares Zeiten durften nur Männer spielen – und Knaben, Chorknaben. Diese wurden mitunter gekauft oder sogar gekidnappt, Königin Elizabeth I. gab per Dekret ihren Segen dazu. In Shakespeares Theaterkosmos kommen immer wieder Geschlechterverwechslungen vor, sie bieten Stoff fürs Drama, noch mehr fürs Gaudium.


Schlag nach bei Shakespeare.
In „Was Ihr wollt“ verliebt sich Herzog Orsino, der vergebens nach der um ihren toten Bruder trauernden Olivia schmachtet, in die als Knabe verkleidete Viola. Im „Sommernachtstraum“ muss der weiblichste Handwerker die Thisbe geben, was diesem gar nicht gefällt. In neuerer Zeit wird „Hamlet“ des Öfteren von einer Frau gespielt, etwa von Ursula Höpfner (George Tabori inszenierte, 1990) oder Angela Winkler (Regie: Peter Zadek, 1999), beide Aufführungen waren bei den Festwochen zu sehen. In neuerer Zeit? Auch Sarah Bernhardt (1844–1923) war als Dänen-Prinz zu erleben – in einem Zwei-Minuten-Stummfilm zeigte sie 1900 ihre Fechtkünste im Kampf mit Laertes, zu sehen auf YouTube.


Die Trocks. König Ludwig XIV. von Frankreich (1638–1715) folgte Shakespeare; wenn er als Tänzer auftrat, lud er sich nur Männer als Partner ein, sie tanzten die Frauenrollen: En Travestie nannte man das. Bis ins 19. Jahrhundert beherrschten Männer die Tanzbühne. Wenn Frauen auftraten, durften sie das nur in langen Röcken und bedeckten Armen tun. Heute berühmt sind Les Ballets Trockadero de Monte Carlo, die Trocks mit Sitz in New York: Männer tanzen die Frauenrollen, etwa in „Schwanensee“, sie ahmen deren Bewegungen bis ins Detail nach – und machen sich über die rigiden Formen des klassischen Balletts lustig.

In der Moderne lockerten sich die Sitten. In Frankreich tanzten Frauen im Corps Matrosen, Husaren, Stierkämpfer als Kontrast zur ätherischen Sylphide. In Österreich waren Fanny und Therese Elßler ein berühmtes Paar, die zarte Fanny und die kräftige Therese tanzten den Pas de deux, Grillparzer fand das unmöglich. Beide Schwestern heirateten Herren der Upperclass. Die Koketterie mit der Rolle war lange Zeit kein gesellschaftspolitisches Thema, es ging bloß darum, die Männer zu gewinnen, denn sie waren die Geldgeber, Choreografen, Kritiker. Bis zum Fin de Siècle dienten Hosenrollen im Tanz eher dazu, die Geschlechtergrenzen subtil zu bestätigen, als sie aufzuheben.

1909 kam mit Serge Diaghilew und seinen Ballets Russes ein neuer Stil. Der Choreograf und Star der Truppe, Waslav Nijinsky, stellte androgyne Wesen auf die Bühne, der Faun räkelte sich zu Debussys Musik lasziv im Gras, die Nymphen stampften mit dem Fuß auf. Nijinsky machte den Sex zum Thema. Nicht nur er selbst tanzte den Faun, sondern auch seine Schwester Bronislava Nijinskaja. In kurzen Hosen, entworfen von Coco Chanel, präsentierte sie die Tänzerinnen in ihrer Choreografie „Le Train Bleu“, die Solistin erschien mit Bubikopf, kurzer Jacke und Spitzenschuhen. Waslav Nijinsky war homosexuell und der Liebhaber Diaghilews. Auf einer Tournee nach Südamerika 1913, an der Diaghilew, da er seekrank wurde, nicht teilnehmen konnte, verliebte er sich in die ungarische Tänzerin Romola de Pulszky, die beiden heirateten. Der eifersüchtige Diaghilew entließ beide fristlos. Nijinskys Kinder wurden in Wien geboren. 1919 erlitt der Künstler einen Zusammenbruch, bei ihm wurde Schizophrenie diagnostiziert...

Viele Künstler kämpften mit ihrer Homo- oder Bisexualität, darunter Michelangelo, da Vinci, Tschaikowsky, Thomas Mann. Die tragische Komponente der Homo- oder Bisexualität ist auch heute im Zeitalter des „Anything goes“, des „Alles ist erlaubt“, keineswegs aufgehoben, sie hat sich nur stärker ins Private verlagert. Filme über (Trans-)Gender gibt es viele. Billy Wilder verjuxte in „Some Like It Hot“ (1959) das Thema in einmaliger Weise und in Starbesetzung: Die beiden arbeitslosen Musiker (Tony Curtis, Jack Lemmon) geraten während der Prohibition der 1920er-Jahre in eine Razzia und müssen sich in einer Damenkapelle verstecken, wo sie die schöne Sugar (Marilyn Monroe) kennenlernen. Als weibischer Mann, der putzt und auf festen Essenszeiten besteht, zu denen er selbst Gekochtes serviert, wird Lemmon in Neil Simons „Ein seltsames Paar“ (mit Walter Matthau) belacht.


Outing. Bis heute überlegen es sich Hollywood-Stars gut, ob sie sich outen sollen wie die bekennende Lesbierin Jodie Foster. Frauenschwarm Rock Hudson (1925–1985) musste fast sein ganzes Leben seine wahre Orientierung verstecken, um seinen Ruf nicht zu gefährden. Er heiratete sogar, um Gerüchten wegen seiner Homosexualität entgegenzuwirken. Er starb an Aids, sein Tod bewirkte eine gewisse Veränderung in der Haltung der Öffentlichkeit gegenüber der Krankheit.

In „Brokeback Mountain“ (2005) verlieben sich zwei Männer, die auf einer Farm arbeiten, ineinander und kommen trotz Heirat nicht mehr voneinander los. In „Blau ist eine warme Farbe“ (2013) verliebt sich ein bürgerliches Mädchen in eine Künstlerin, lässt sich dann aber wieder mit einem Mann ein, worauf es zum Bruch mit der Geliebten kommt. Der Film bildet zum einen den Wandel in der öffentlichen Meinung zum Wechsel der Geschlechter und Identitäten ab, zum anderen spielt er die verschiedensten Varianten durch. In Wien gibt es z. B. alle zwei Jahre das „Queer“-Filmfestival.

Locker, erfinderisch geht die Pop-und Rockmusik mit dem Thema um. Und doch ist es immer noch ein Thema, wie man beim Skandal um das Plakat von David LaChapelle zum heurigen Life Ball erfahren konnte. Dabei variiert gerade dieses Sujet ein ganz altes Thema: den Hermaphroditen, der zugleich Frau und Mann ist. LaChapelle bezieht sich in seiner Bildsprache auf ein Paradies, in dem die geschlechtliche Identität aufgehoben ist.


Von Platon zu Georg Kreisler. Der mythologische Hermaphrodit stammt aus Griechenland, eine Nymphe verfällt dem schönen Jüngling und will ihn verführen, er weist sie jedoch ab, sie bittet die Götter Hermes und Aphrodite um Hilfe und umschlingt ihn so fest, dass sie beide verschmelzen. Das dritte Geschlecht kommt auch in Platons Symposion vor, der ersten umfangreichen metaphysischen Lehre über den Eros. Dass sich dieser historisch gesehen nie lange frei entfalten konnte, hat nicht nur mit der Religion, sondern auch mit handfesten wirtschaftlichen Interessen zu tun, z. B. mit der Vererbung von Vermögen.

Insgesamt dürfte die humorvolle Betrachtung der Geschlechterverwirrung überwiegen, sie wird auch vom Publikum lieber gesehen. „Mein Sekretär weiß nicht mehr, ob er eine Sie ist oder ein Er“, sang Georg Kreisler. Der ironische Schluss des nach heutigen Maßstäben politisch nicht korrekten Liedes darf durchaus weitreichend verstanden werden: „Die Zofen lasst er lofen und die Diener hat er gern, und mir erzählt er dann, das ist modern.“

Mitarbeit: Ditta Rudle.

Brainstorm

Musik. Beispiele: Sesto in Mozarts „La Clemenza di Tito“ oder Prinz Orlofsky in Strauss' „Fledermaus“.

Literatur. Virginia Woolfs „Orlando“, gewidmet ihrer Liebe Vita Sackville-West. Verfilmung mit Tilda Swinton (1992).

Filme. „Victor/Victoria“ mit Julie Andrews (1982) basiert auf dem Ufa-Film „Viktor und Viktoria“ (1933) mit Hermann Thimig, „Tootsie“ mit Dustin Hoffman.

Bildende Kunst.Claude Cahun, Surrealist (1894–1954), Renate Bertlmann, Matthias Hermann, Katrina Daschner („Selftimer-Stories“, Ausstellung, derzeit in New York, ab November 2014 im Museum der Moderne in Salzburg).

Pop. Androgyne Pioniere der Sixties, Mick Jagger, David Bowie, Devendra Banhart, Folksänger mit psychedelischer Schlagseite, K. D. Lang, kanadische Singer-Songwriterin.

Style. Katie Hill und Arin Andrews, sie war früher ein Er, und er war früher eine Sie. Die beiden waren ein Liebespaar, trennten sich, bekamen viel Publicity. Für das New Yorker Luxuskaufhaus Barneys stellten die zwei mit 15 anderen Transgender-Models heuer die Frühlingskampagne vor – unter dem Titel: „Brothers, Sisters, Sons and Daughters“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2014)

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