Salzburg: Krieg bei Karl Kraus – meistens im Halbdunkel

(c) APA/BARBARA GINDL
  • Drucken

Georg Schmiedleitner inszeniert „Die letzten Tage der Menschheit“ im Landestheater mit großem Respekt. Dadurch fehlt zuweilen der Biss. Aber die wandlungsfähigen Schauspieler steigern sich zu einem furiosen Finale.

Krieg besteht nicht nur aus Propaganda, Gemetzeln und Traumatisierungen, sondern auch aus Warten, Wachen und Erschöpfung. In dieser Hinsicht kann man sagen, dass Georg Schmiedleitner mit seiner Inszenierung der Tragödie „Die letzten Tage der Menschheit“ der Darstellung des Ersten Weltkriegs in jeder Weise gerecht geworden ist. Denn die (inklusive Pause) mehr als vierstündige Aufführung, die am Dienstag bei den Salzburger Festspielen im Landestheater Premiere hatte, bot alle Aspekte auf: Kabinettstücke der 13 Schauspieler, die zum Großteil dem koproduzierenden Burgtheater angehören, aber auch billige Karikaturen, ein paar Hänger und sehr viel Ehrfurcht vor der Sprache des Karl Kraus, der auf beinahe 800 Seiten in irrwitzigen Montagen dem Volk aufs Maul schaute und mittels seiner Phrasen den Wahnsinn der Jahre 1914 bis 1918 sezierte.

Diesem Lesedrama, das nach Einschätzung des Autors komplett zehn Abende füllen würde, wird man auf der Bühne schwer gerecht. Man kann eine schräge Revue daraus machen, wie das unlängst sehr straff im Wiener Volkstheater geschah. Man kann eine Endzeitorgie bieten, wie das bei egozentrischen Regisseuren derzeit beliebt ist. Das Scheitern an diesem gewaltigen Werk bleibt jedoch immanent. Zudem muss sich jeder Regisseur auch an der Interpretation Helmut Qualtingers messen lassen, der das gesamte Drama vorlas. So ist es nicht verwunderlich, dass ein erboster Zwischenrufer in Salzburg von der Galerie aus zu Beginn der Pause nach zweieinviertel Stunden herabrief: „Heiliger Helmut Qualtinger, schau oba!“

Die Blasmusik übertönt den Nörgler

Das allerdings ist eine ungerechte Kurzkritik der Leistung Schmiedleitners, der bei dieser großen Produktion kurzfristig für den entlassenen Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann eingesprungen ist. Über dramaturgische Schwächen oder die Auswahl des Textes wäre zu streiten, aber diese Inszenierung ist eine  seriöse Auseinandersetzung mit dem Stück – mit den Mitteln eines Stadttheaters eben. Und während sie vor der Pause tatsächlich etwas zu brav war, als phasenweise mehr rezitiert als gespielt wurde, gerieten die 80 Minuten danach zum furiosen Finale eines beachtlichen Ensembles. Wer weiß, vielleicht hätte Qualtinger durchaus gewogen „obag'schaut“ auf dieses Panoptikum des Untergangs der Menschlichkeit, das im Landestheater still erlitten, dann aber heftig und lange beklatscht wurde.

Die letzten Tage der Menschheit vollziehen sich hier in der Nacht. Volker Hintermeier hat die Bühne bis auf ein paar hohe Gestelle, eine bewegliche Wand sowie Tische und Sesseln leer geräumt. Meist wird im Halbdunkel gespielt, nur manchmal hellen Scheinwerfer die Szene auf, Lichtblitze blenden auch das Publikum. Vorne an der Rampe ist die Front. Da rattert es, da wird bombardiert, eine kleine Combo besorgt die Geräusche. Eröffnet wird mit einer Attacke der Medien. „Extraausgabee!“, tönt es aus dem Megafon, und schon legt Dietmar König als der Nörgler los. Dieses Alter Ego von Kraus ereifert sich anfangs minutenlang im Monolog über die Kriegslüsternen. Wird er gehört? Gewaltig setzt die Postmusik Salzburg ein, die Drehbühne fährt hoch. Mit Märschen und Walzern begleitet die Blasmusik diesen Abend. Gegen so viel patriotischen Lärm kommt der Nörgler ebenso wenig an wie gegen den Optimisten, der von Gregor Bloéb liebevoll als grinsender Trottel gegeben wird.

Bald zeigt sich an Hofrat Nepalleck reine Niedertracht. Lustvoll erzählt er Durchlaucht am Telefon, dass der in Sarajewo ermordete Kronprinz und dessen morganatische Ehefrau nur ein Begräbnis dritter Klasse erhalten. Im Hintergrund sieht man in einer Vitrine die Uniform des geschmähten Franz Ferdinand. Christoph Krutzler verkörpert bestens den gemeinen Hofrat, der sich auf Stöcken an die Rampe vorarbeitet. In der Brutalität als Viktualienhändler oder als Offizier erinnert er tatsächlich an Qualtinger. Gemütlichkeit wird rasch zum Hass. Die Schauspieler müssen allesamt große Wandlungsfähigkeit zeigen, sie spielen insgesamt 86 Rollen. Bernd Birkhahn fällt vor allem in preußischen Gestalten positiv auf, Sven Dolinsksi, Laurence Rupp und Thomas Reisinger übernehmen vorwiegend leidende Soldaten, Schüler, Reporter. Nur der Nörgler, der Optimist und die Schalek sind Soloparts.

Die irre Schalek lehrt uns das Putzen

Aus diesem Trio ragt Dörte Lyssewski als Schalek heraus. Sie gibt eine schrille Interpretation der Kriegsreporterin der „Presse“. Diese Pelzhauben-Trägerin robbt sich an die Front heran, verbindet Geilheit und Krieg mit religiöser Inbrunst. Mit einem Kollegen entrollt sie eine viele Meter lange Reportage, wickelt ihn damit geradezu ein. Sie räumt auf in ihren Artikeln. „Putzen“, lernen wir, „heißt massakrieren.“ Den Schnellschuss betreibt sie mit Leidenschaft.
Übertrieben? Nein, beim Wort genommen, so wie auch Alexandra Henkel als preußische Matrone, Petra Morzé und Stefanie Dvorak als Wiener Flintenweiber die Kriegsbrunst ins Extreme treiben, als erbarmungslose Professoren den Schrecken pseudowissenschaftlich verdrängen und feiern, während sie andere opfern.

Etwas dezenter, selbst im Ordinären, legt Elisabeth Orth ihre Rollen an. Sie macht das treffsicher, ob sie nun den patriotischen Lehrer Zehetbauer gibt oder den eitlen Feldherrn Conrad von Hötzendorf, der mit einer gewaltigen Landkarte Italiens für ein Foto posiert. Auch Peter Matić zählt zu den Stärken dieses Abends, nicht so sehr als allzu flacher Geist des Kaisers Franz Joseph, der wie ein Stehaufmännchen ein Couplet darüber singt, dass ihm doch nichts erspart bleibe, sondern als gnadenloser Offizier an der Front, der in Serie Todesurteile vollstrecken lässt.
Da sieht man dann das Böse, das in beiläufigen Sätzen ins Ungeheure wächst. Hier wird echt geköpft! Von solchen Momenten lebt diese Aufführung, die inszenatorisch insgesamt verhalten bleibt. Lieber verlässt sich die Regie auf die Sezierkunst von Kraus, als selbst dramatisch zu operieren. Aber kann man mit dem überhaupt fertigwerden? Der Schluss in Salzburg lautet: „Man darf den Mut nicht sinken lassen. Kopf hoch!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.