Salzburger Festspiele: Bunter Abend über den Weltkrieg

(c) Salzburger Festspiele/Bernhard Müller
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Mozarteum-Studenten recherchierten zum Gedenken an 1914. Ihre Szenerie für das Young Directors Project wirkt teils ambitioniert, teils unbeholfen.

Das Projekt trägt den Titel „36.566 Tage“, das klingt kompliziert, und so ist es auch. Studenten des Mozarteums zeigen 36.566 Tage nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo ihre Ideensammlung zum Krieg. Ein Jahr dauerten die Recherchen, sechs Wochen wurde geprobt, mehr als 40 Personen sind an der Inszenierung des Dokumentartheater-Spezialisten Hans-Werner Kroesinger beteiligt, die fast vier Stunden dauert. Der Beginn im Salzburger Kunstquartier ist stark. Die Studenten mischen scheinbar banale Begebenheiten – ein junger Mann aus Hallein tötet seine Braut und sich aus Eifersucht – mit der Nachricht vom Attentat, die sich langsam verbreitet. Die Mobilisierung führt zur Umwälzung des gesamten Lebens. Es ändert sich schnell. 120 Männer aus dem Thalgau müssen einrücken, Dörfer werden leer geräumt. Wer macht die Arbeit auf den Bauernhöfen mitten im Sommer?

Musik spricht mehr als 1000 Fotos

Die Akteure tragen Zeitungen, wenn sie damit auf ihre Hände schlagen, knallt es: „Serbien muss sterbien, jeder Schuss ein Russ'.“ Die allgemeine Aggressivität in der Gesellschaft wird spürbar, aber nicht so deutlich wie bei Karl Kraus. Ein Mädchen schluchzt und sagt, es kommt Krieg, ein Bub winkt ab, ach was. Nach diesem Auftakt gehen die Besucher hinüber ins Mozarteum, das früher eine Kaserne war, und erleben aufgeteilt in Gruppen einzelne Performances. Am bemerkenswertesten ist die Begegnung mit der jungen Pianistin und Komponistin Sylvia I. Haering, die auf den Spuren des Salzburger Komponisten Otto Rippl, der am Mozarteum lehrte, wuchtige und zarte Klänge aus dem Flügel hämmert und zaubert. Diese bringen das Grauen vor dem Tod und die Hoffnung auf Frieden näher als Dokumentationen oder Fotos. Die Erfahrung ist nicht neu: Max Regers „Requiem“, jüngst in Salzburg zu hören, Brittens „War Requiem“ lassen das unermessliche Leid drastisch fühlen.

Ist der Krieg überhaupt erfahrbar zu machen? Mit einem Lazarett im Hof, mit einem Schützengraben? Wir Medienkonsumenten ahnen, Fiktion und Realität haben bei diesem Thema oft besonders wenig miteinander zu tun, selbst monumentale Filme wie „Der Soldat James Ryan“ von Steven Spielberg präsentieren letztlich nur Bilder. Und der Unterschied in der Qualität von damals zu heute ist, speziell bei Aufnahmen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, enorm.

„Haben Sie schon einmal eine Leiche oder einen Toten gesehen?“, fragt ein junger Mann. Solche Sesselkreis-Aktionen funktionieren meistens nicht. Die Zuseher sind wenig auskunftsfreudig, bleiben auch konventionell, als sie eine Botschaft für das Jahr 2114 auf Video sprechen sollen. Allerdings sieht jede Besuchergruppe nur einen Teil der Projekte. Man müsste mehrmals kommen, um alle Szenen der Performance zu erleben.

In Installationen wird die Konstellation des Sternenhimmels 1914 mit Zitaten aus der Kriegszeit kombiniert („Komm' wieder, mit einer Medaille auf der Brust“, „Ich möchte dringendst totale Betäubung“). In einem anderen Raum wird Georg Trakls Gedicht „Grodek“ rezitiert, in dem der Salzburger Dichter, dem das Young Directors Project heuer eine Uraufführung widmet, Natur, Träume und Kriegsgrauen aufeinanderprallen lässt. Das Verhör mit einer Krankenschwester, die sich im Salzburger Kriegsgefangenenlager Grödig in einen Serben verliebt hat, ist zu vernehmen. Margaretha Trakl, Schwester Georgs, wählte wie der Dichter den Freitod. Ihr Lehrer Franz Ledwinka, der am Mozarteum auch Karajan unterrichtete, trägt eher fade und umständlich formulierte Gebote des Musikhörens vor.

Trash ist nicht gleich Albernheit

Die schauspielerischen Leistungen sind unausgewogen. Während der Feldwebel und der Militärgeistliche, die ihr Regiment auf den Marsch nach Galizien einstimmen, unheimlich authentisch wirken, ist der Kaffeehauskrimi – zwei junge Leute bringen die Besitzer um, damit sie ein Bordell im Café einrichten können – peinlich, was nicht nur daran liegt, dass die Schauspieler den Dialekt nicht beherrschen. Ein Rat: Entweder Hochdeutsch reden oder das Österreichische einstudieren. Auch Trash will gekonnt sein.

Alles in allem hat hier wieder einmal die Theorie die Praxis überwuchert, es gibt einiges Interessantes zu hören und zu sehen. Immer wieder wird an aktuelle Kriegsschauplätze in Israel oder in der Ukraine, etwa ihre Präsenz in sozialen Netzwerken, erinnert.

Aber manche Szenarien wirken allzu sehr wie ein bunter Abend zum ernsten Thema. Die Grundfrage, welche Werte bleiben für Europa, nachdem es sich von Nationalismus und Religion weitgehend verabschiedet hat oder dieses versucht, wurde bisher noch bei keiner der zahlreichen Weltkriegs-Gedenkveranstaltungen ernsthaft behandelt.

Theater bei den Festspielen

„36.566 Tage“ ist noch diesen Dienstag im Salzburger Kunstquartier und im Mozarteum zu sehen. Im Young Directors Project, das 2014 zum letzten Mal stattfindet und von Montblanc gesponsert wurde, gibt es noch „Orpheus“ (seit 11. 8.) und eine Uraufführung über Georg Trakl von Walter Kappacher: „Der Abschied“ (ab 15. 8.).

Horváths Don Juan. Für Ödön von Horváth war er vor allem ein Kriegsgeschädigter, Frauen jagen ihm nun eher Angst ein: Maximilian Simonischek spielt den Protagonisten von „Don Juan kommt aus dem Krieg“ in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg (ab 17. 8. auf der Perner Insel Hallein). Zum Abschluss ist im Salzburger Landestheater „1927. Golem“ zu sehen (Uraufführung am 22. 8.).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2014)

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