Überfrau Alma feiert in der großen Halle

Alma - a show biz ans Ende '1. Teil: In meines Vaters Garten'
Alma - a show biz ans Ende '1. Teil: In meines Vaters Garten'ORF
  • Drucken

Regisseur Paulus Manker hat Joshua Sobols Polydrama in die Industriezone von Wiener Neustadt gebracht. Dort gibt es in den Roigk-Hallen exzessive vier Stunden mit der Muse und ihren vielen Liebhabern.

Alma, geborene Schindler (1879–1964), die berühmte Künstler herausforderte und fast um den Verstand brachte, die mit Alexander Zemlinsky und Oskar Kokoschka liiert, mit Gustav Mahler, Walter Gropius und Franz Werfel verheiratet war, ist laut Regisseur Paulus Manker nicht nur Muse, sondern auch Monster. Dieser kraftvolle Theatermacher, Filmer und Autor scheint ihr in jeder Hinsicht verfallen zu sein. Seit 1996 hat er „Alma – a Show Biz ans Ende“ an kongenialen Orten (Sanatorium, Hotel, Telegrafenamt) gespielt. Insgesamt 470 Aufführungen werden es nach dieser Saison Ende August sein.

Seit dem Wochenende ist Manker mit seiner Überfrau aus Wien in einem ihr wahrlich ebenbürtigen Gebäude zu Gast – in den Wiener Neustädter Roigk-Hallen, in denen einst auch Eisenbahnen gebaut wurden. (In der NS-Zeit wurden dort Rüstungsgüter produziert, durch Zwangsarbeiter. Dieses Außenlager des KZ Mauthausen wurde „Serbenhalle“ genannt: Nach einem Massaker der Wehrmacht in Kragujevac und Kraljevo war dort eine Industriehalle demontiert und von KZ-Häftlingen in Wiener Neustadt wieder aufgebaut worden.)

Die Halle ist so groß wie die Titanic, in ihr wirken die Zuschauer selbst bei ausverkaufter Vorstellung wie ein Häufchen Fans. Die Gäste hören, nachdem ihnen zum Empfang Sekt gereicht wurde, bedrohliche Maschinengeräusche, die bald in spätromantische Musik übergehen. Alles hier ist gigantisch. Der Raum ist ein Protagonist. Selbst wenn Alma, von vier Schauspielerinnen verkörpert, samt männlicher Entourage auf einem hohen Schienenfahrzeug, das an sich zum Reparieren von Oberleitungen gedacht ist, von hinten aus dem Dunkel heranfährt, müssen sich die Darsteller mächtig anstrengen, um in diesen von Fackeln und Kerzen beleuchteten Szenen nicht übertönt und marginalisiert zu werden. Das gilt vor allem für die Einstimmung, denn die Regeln des Polydramas besagen: Es wird parallel gespielt, die Zuschauer können ihrem Strang des Schauspiels folgen, in kleinere, liebevoll mit alten Möbeln, Büchern, Bildern, Badewannen und allerlei Zierrat ausgestattete Räume, die zwar fast alle noch so groß sind wie Ballsäle, nach der Ankunftshalle aber geradezu intim wirken. Mittendrin im Geschehen sind die Gäste.

Die brennende Schrift an der Wand

Das Schöne an dieser Versuchsanordnung: Man kann sie mehrfach sehen und erfährt nie dasselbe. Soll man Mahler (Doron Tavori) zu Freud folgen, wenn sich der berühmte Dirigent und Komponist beim berühmtesten Seelenarzt wegen seiner schlimmen Alma ausweint? Ihren Streit mit Zemlinksy (Martin Hemmer) erleiden? Oder doch lieber von Gropius (Béla Emanuel Bufe), der in Tobelbad Heilung sucht und von der Muse wie von einer Krankheit heimgesucht wird? Oder begibt man sich mit dem durch seine antisemitische Frau gedemütigten Werfel (Christian Klischat) auf die Flucht vor den Nazis? Nach kurzer Zeit verfliegt der Zwang konventioneller Theaterbesuche. Nie gibt es den totalen Überblick, aber stattdessen kann der Zuseher ganz nah an seine Favoriten herangehen oder in ruhiger Distanz ein wenig nachdenken. Dann hört man von links und rechts aus der Ferne einen Streit aufbrausen oder gar einen Lustschrei hallen, während der Betrachter vom Sofa aus und fast allein Reproduktionen von Kokoschkas berühmtesten Gemälden vor sich hat. Dieser expressive, irre Maler wird nach der Pause von Manker selbst gespielt. Zuvor wird Mahlers Sarg vorbeigetragen, sein Name brennt groß als Schrift an der Wand. Dann dürfen die Gäste gemeinsam in einer Haupthalle ein opulentes Mahl einnehmen.

Wer aber nach schwerem Wein glaubt, ein Schläfchen zu machen, hat keine Chance, denn dieser manische Manker-Kokoschka ist auch im 19. Jahr noch eine Wucht, ein Übertreibungskünstler, der sich zur Freude des Publikums auch Impromptus leistet. Ja, Manker gibt seinem Helden Pathos, aber das passt genau zu diesem Alma-Mahler-Werfel-Weihespiel. Der Boss will überragen. Neben ihm aber kann Jutta Hoffmann als Witwe im Wahn mit viel weniger Aufwand mühelos bestehen – sie ist eine Muse, die ihre exaltierten Alma-Kolleginnen Anna Franziska Srna, Veronika Glatzner und Katja Sallay an die Wand spielt. Gleichviel, am Schluss wird abgerechnet mit dieser multiplen Dame. Gnadenlos. Kokoschkas Puppe steht dafür als Symbol. Die überdrehte Alma kann einen an einem einzigen Abend fertigmachen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.