Theater: "Der Krieg war konkret greifbar"

AUSTRIA SALZBURG FESTIVAL 2014
AUSTRIA SALZBURG FESTIVAL 2014APA/EPA/BARBARA GINDL
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Dörte Lyssewski und Peter Matić über "Die letzten Tage der Menschheit", bald im Burgtheater, über ihre Ahnen, das (Alt-)Österreichische, den Krieg, den Tod, und was danach kommt.

In diesem Sommer scheint sich die Präsenz des Krieges durch die Ereignisse im Nahen Osten und in der Ukraine verstärkt zu haben. „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus, die heuer bei den Salzburger Festspielen Premiere hatten, übersiedeln am 5. September ins Burgtheater. Sie spielen die Reporterin Alice Schalek. Wie sehen Sie diese Dame, die bei Kraus als Kriegsverherrlicherin und rabiate Schreckschraube rüberkommt, aber auch eine Pionierin als Frau im Journalismus war?

Dörte Lyssewski: Alice Schalek sagt fürchterliche Sachen, aber auch interessante. Sie hat eine fehlgeleitete Begeisterung für den Krieg, das ist richtig. Aber sie geht auch analytisch an die Dinge heran und stellt Fragen wie sie nie zuvor gestellt wurden.

Sie fragt Soldaten im Schützengraben: Was empfinden Sie? Eine einerseits naive, andererseits interessante und zeitlose Frage.

Lyssewski: Man darf nicht vergessen, dass Kraus für die Figur der Schalek fast nur Drucktext aus Schaleks Artikeln ihr als wörtliche Rede in den Mund legt. Da kann man jetzt sagen: Blöde Kuh! Aber Schaleks Vorgehen verweist auch auf die moderne Psychologie und läuft einer Zeit zuwider, in der es hieß: Nicht denken, funktionieren. Für mich ist das einfach eine sehr neugierige Frau, ich habe Bücher gelesen aus ihrer späteren Zeit als Reiseberichterstatterin in Japan, Kambodscha. Für mich ist wichtig, dass das keine grobe Knallcharge ist, nach dem Motto, ah das ist jetzt halt die Schalek. Ich bin die Anwältin dieser Frau. Sie hat fünf Szenen, in denen soll sichtbar sein, dass Alice Schalek eine ehrgeizige, moderne Frau war und keineswegs dumm, auch wenn sie dumme Sachen gesagt hat. Ich agiere differenziert, nicht holzschnittartig. Wenn da so ein Drache auftritt, dann erfährt man nichts über sie und landet im Klischee.

Herr Matić, Sie hatten schon öfter mit „Den letzten Tagen der Menschheit“ zu tun?

Peter Matić: Als ich das erste Mal heimkam und meinem Vater, der Offizier war, erzählte, dass ich eine Lesung mit Karl Kraus mache, sagte er: „Oh Gott, der Fackel-Kraus!“ In militärischen Kreisen war Kraus ein rotes Tuch. Ich habe ihn mir im Lauf der Jahre erst erlieben müssen – bis zu einem gewissen Grad. Er hat sehr viel Schaum vor dem Mund. Obwohl ich bei den Festspielen in Reichenau im Südbahnhotel 2000 in der Inszenierung von Hans Gratzer aufgetreten bin, und dann noch einmal 2006, als Gratzer leider schon tot war, obwohl ich auf Tournee war mit den „Letzten Tagen“ in Deutschland, muss ich sagen, ich mag Karl Kraus nicht wirklich, er ist und bleibt für mich eine unsympathische Person. Trotzdem ist das ein fantastisches Stück.

Sie spielen u.a. den Kaiser Franz Joseph. Was haben Sie für ein Bild von ihm? Nicolaus Hagg, der heuer für Reichenau das Sarajevo-Stück geschrieben hat, meint, Franz Joseph war ein Kriegsverbrecher, weil er einen Angriffskrieg vorbereitete.

Matić: Das sehe ich ganz anders. Bei Kraus wird Kaiser Franz Joseph als alter Depp gezeichnet. Ich sehe ihn als freundlichen alten Herren, der sehr unbelesen war, er hat den Militärschematismus gelesen und vielleicht die Bibel. Er war ein Werkzeug seiner Umgebung und ist auf den Chef des Generalstabs von Österreich-Ungarn, Franz Conrad von Hötzendorf, hereingefallen, der ein wirklicher Kriegstreiber war. Franz Joseph hat gesehen, dass das Reich zerbröckelt. Er war aber ein selbstbewusster Herrscher, was auch mit dem Gottesgnadentum zu tun hatte. Er war der gottgewollte Kaiser. Das Problem war, dass es für seine Umgebung dadurch schwer war, ihm Kontra zu geben oder ihn auch nur zu beraten.

Das englische Königshaus konnte sich anders als die österreichisch-ungarische Monarchie halten. Wieso?

Matić: Ich glaube, wir wissen viel weniger vom englischen Königshaus, ich jedenfalls weiß nicht viel. Es ist die Frage, was geschehen wäre, wenn Franz Joseph nicht so alt geworden wäre, wenn Franz Ferdinand nicht so unbeliebt gewesen wäre – und wenn Kronprinz Rudolf sich nicht in Mayerling erschossen hätte, sondern Kaiser geworden wäre. Aber das sind Spekulationen. Wir spielen Kraus, nicht meine Auffassungen über die Monarchie.

Sind Sie ein Altösterreicher?

Matić: Ja. Ich glaube aber nicht, dass die Monarchie haltbar gewesen wäre, einfach aufgrund der Nationalitätenkonflikte. Ich stamme aus einer Familie von Berufsoffizieren. Mein Urgroßvater war Oberst, mein Großvater Feldmarschall-Leutnant, mein Vater hat im I. und II. Weltkrieg gedient. Als ich geboren wurde, war er fünfzig, er wurde 93 Jahre alt. Ich habe ihn als gütigen älteren bzw. alten Herrn erlebt. Trotzdem ist er 1914 begeistert in den Krieg gezogen. Ich habe jüngst wieder seine Kriegstagebücher gelesen. Allerdings schwindet die Begeisterung, wenn man fünf Monate im Schützengraben liegt.

Sie wollten nie Soldat werden?

Matić: Nein!

Frau Lyssewski, welche Rolle spielt in Ihrem Leben der Krieg?

Lyssewski: Der Krieg hat mich von Kindheit an begleitet. Immer, wenn wir sonntags zu den Großeltern gingen, war der II. Weltkrieg Thema. Meine Familie war aus Ostpreußen geflüchtet. Meine Großtante hat sogar den I.Weltkrieg noch miterlebt. Der Krieg war also, wenn auch etwas abstrakt in der Wahrnehmung eines Kindes, so konkret greifbar, anhand der Schicksale, die da leibhaftig vor mir saßen.

Sind Sie religiös?

Matić: Ich bin Katholik, immer gewesen. Ich glaube an ein Fortleben der Seele, wie das sein wird, weiß ich nicht. Ich lebe in der Hoffnung, dass der Herr sich unser erbarmt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alles vorbei ist. Für mich hat es nie die Frage gegeben, aus diesem Glauben auszuscheren. Das hat auch viel mit Tradition zu tun. Ich bin dankbar dafür, weil mir die Religion ein Gefühl der Sicherheit gibt, das, wenn ich ein Suchender wäre, nicht existieren würde.

Lyssewski: Ich bin aus der Kirche ausgetreten, aber, wenn man so will, religiös. Allerdings würde ich nicht auf die Idee kommen, wie durch einen Supermarkt zu gehen und mir auszusuchen, welche Religion am besten zu mir passt.

In dem Stück geht es auch um die groteske oder operettenhafte österreichische Wirklichkeit. Sie sind seit fünf Jahren am Burgtheater. Wie erleben Sie Österreich?

Lyssewski: Wien ist das Gegenteil preußischer Strenge, das Tätige, Organisierte fehlt. Das ist ja auch nicht immer das Nonplusultra. Österreich, Wien hat eine gewisse Operettenhaftigkeit, das Schnörkelige, sich Windende, Mäandernde, ein Hang zum Unentschiedenen und zum Kitsch in allem. Das klingt so nach Kategorisierung. Aber ich würde schon sagen: Das ist das Parfum.

Steckbrief

1937
Peter Matić wird in Wien geboren. Er absolviert die Schauspielschule Krauss, nimmt Unterricht bei Dorothea Neff und debütiert 1960 im Theater in der Josefstadt.

1966
Dörte Lyssewski wird in Niedersachsen geboren. Sie studiert Schauspiel in Hamburg. Erstes Engagement an der von Peter Stein geführten Schaubühne am Lehniner Platz Berlin.

1972–1994
Peter Matić ist am Schillertheater in Berlin engagiert. Seit 1994 gehört er dem Ensemble des Burgtheaters an. Außerdem ist Matić Synchronsprecher von Ben Kingsley.

1997
Lyssewski spielt Grillparzers Libussa in Steins Regie in Salzburg, wo sie seit 1992 regelmäßig zu sehen ist. Burg: „Eine Familie“, „Das weite Land“, „Endstation Sehnsucht“, „Die letzten Zeugen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2014)

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